Ungewöhnlich ernst, bissig und sogar aggressiv gab sich Premierminister Bart De Wever bei seinen Ausführungen Donnerstagmorgen im Kammerausschuss für Europaangelegenheiten.
De Wever erinnerte an ein verletztes Tier im Überlebenskampf, oder vielleicht besser an einen angeschlagenen Boxer, der alles andere als bereit ist aufzugeben, sondern ganz im Gegenteil im Angesicht der drohenden Niederlage gegen einen scheinbar stärkeren Gegner seine Kräfte konzentriert bündelt, um noch einmal mit gezielten Treffern das Blatt zu wenden.
Haarscharf waren die Argumente, mit denen De Wever Schritt für Schritt erklärte, warum er und damit auch Belgien dem aktuell auf dem Tisch liegenden Vorschlag der EU, das russische Vermögen von Euroclear für die Ukraine-Hilfe zu verwenden, nicht zustimmen können.
Kurz zusammengefasst waren es die gleichen Argumente wie bislang - nämlich dass De Wever ein juristisch wasserdichtes Vorgehen fordert und schriftliche Garantien der anderen EU-Staaten, dass Belgien bei möglichen Konsequenzen aus der Verwendung des russischen Geldes nicht allein stehen dürfe.
Diese beiden Voraussetzungen würden den Fallschirm bilden, der nötig sei, bevor zur Tat geschritten werden könne. Und dazu formulierte De Wever seine dritte Bedingung: "Wenn man uns auffordert zu springen, springen wir gemeinsam", sagte der Premier.
Und damit meinte De Wever auch, dass auch das russische Vermögen, das in anderen EU-Mitgliedstaaten liegt, dann mobilisiert werden müsse - zum Beispiel auch das in Frankreich. Dort müsse dann das gleiche geschehen wie in Belgien.
Wenn man denn springen wolle.
Dass De Wever selbst so einen Sprung ins Ungewisse weiter als sehr riskant wertet, selbst wenn alle seine Forderungen erfüllt wären, auch daran ließ er keinen Zweifel. Für De Wever stellt die Verwendung des russischen Geldes für die Ukraine schlicht und einfach eine Konfiszierung dar, die nur nicht so genannt werden dürfe.
Praktisch bleibe es aber eine Konfiszierung. Das Vertrauen in den Finanzplatz Europa werde dadurch massiv geschädigt und das könne weitgehende wirtschaftliche Folgen haben - für ganz Europa und unter Umständen auch für die Stabilität des Euro.
All das und viele Details mehr trug De Wever in einer - wie gesagt - glasklaren Argumentation vor, bevor er schließlich seine bevorzugte Alternative den Abgeordneten präsentierte, nämlich die Verwendung des Geldes aus dem so genannten "Headroom". Das sei ein Puffer, den es in jedem Jahresbudget der EU-Kommission gebe und der für Darlehen verwendet werden kann. 50 Milliarden Euro seien für das kommende Jahr in diesem Headroom verfügbar.
EU-Mitgliedstaaten könnten, so die Idee von De Wever, deshalb Kredite aufnehmen, die durch den Headroom gedeckt seien, und mit diesem Geld dann die Ukraine unterstützen.
Auf Nachfrage der Abgeordneten sagte De Wever, dass er mit vielen Regierungschefs in der EU schon über diese Idee gesprochen, das aber nicht öffentlich gemacht habe, damit die Idee nicht schon im Vorfeld als Alternative abgelehnt werden könne.
Diese Headroom-Alternative werde er auf dem Gipfel vorschlagen, wenn alle seine Bedenken gegen die Verwendung des russischen Vermögens nicht aus der Welt geschaffen werden können. Ob er dann die anderen Staaten von der Headroom-Lösung überzeugen werde, wisse er nicht. Es könne sein, aber auch nicht.
Auf jeden Fall sei das heute ein ganz spezieller Tag, sagte De Wever.
Kay Wagner