Bart De Wevers erste Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen war geprägt von einer gewissen Wehmut. Als Teenager habe er den damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan verehrt, das tue er im Übrigen heute noch. Damals habe er noch fest daran geglaubt, dass die westliche Welt durch ihre gemeinsamen Werte und den gegenseitigen Respekt fest miteinander verbunden war. Und dass sich diese Werte vielleicht am Ende auch über die ganze Welt verbreiten würden.
Aber das war einmal. Heute fühle man sich viel eher an einen berühmten Text des antiken griechischen Historikers Thukydides erinnert. In seinem "Peloponnesischen Krieg" beschreibt er eine Szene, in der die Hegemonialmacht Athen die Bewohner der Insel Melos ultimativ auffordert, sich zu unterwerfen. Thukydides habe die brutale Machtlogik in einem einzigen Satz auf den Punkt gebracht, sagte De Wever: "Die Starken tun, was sie können, und die Schwachen erleiden, was sie müssen". Das entspreche vielleicht tatsächlich der menschlichen Natur, aber das sei doch nicht die Welt, in der wir leben wollen.
Bart De Wever also wie er leibt und lebt. Es überrascht jedenfalls niemanden mehr, wenn der Historiker in ihm mit seinem Hang zur römischen und griechischen Antike seine Klassiker zitiert. Auch wenn es vielleicht auch ein bisschen umständlich wirkte, jeder hatte wohl verstanden, worauf der belgische Premier anspielte. Besser gesagt: auf wen. Den Namen Donald Trump nahm De Wever aber nicht einmal in den Mund. Auch nicht als er beklagte, dass dass das Völkerrecht immer mehr unter Druck gerate und dass Geopolitik immer mehr zu "Egopolitik" verkomme.
Belgien steht hinter der Ukraine
Das könne er nur bedauern, und deswegen plädiere er für eine Welt, die auf gegenseitigem Respekt fußt. "Stattdessen sind wir heute mit neuen Formen von Imperialismus und militärischen Bedrohungen konfrontiert, mit gewaltsamen Konflikten, die ganze Regionen destabilisieren. Diesen Weg haben wir uns nicht ausgesucht", sagt De Wever. Was nicht bedeute, dass wir dafür naiv sein dürften. Diejenigen, die Frieden wollten, müssten nämlich auch bereit sein, ihn zu verteidigen. "Und deswegen stehen wir uneingeschränkt und entschlossen hinter der Ukraine." Belgien werde in diesem Zusammenhang jedenfalls seine Verantwortung übernehmen und, zusammen mit den europäischen Partnern, in die Verteidigung investieren.
Wichtig sei zudem der weltweite Kampf gegen die internationale Kriminalität.
Für Abbau von Handelsbarrieren
Zwei Tage nach der Brandrede von Donald Trump auf derselben Bühne vertrat De Wever aber auch hier eine diametral entgegengesetzte Weltsicht. Während der US-Präsident indirekt wieder Unilateralismus gepredigt hatte, nach dem Motto "jeder für sich", brach De Wever eine Lanze für den Freihandel. Die letzten zwei Jahrhunderte haben es bewiesen: Nur freier und fairer Handel ist der Motor für wirklichen Fortschritt", sagte der Premier. Stattdessen sehe man jetzt wieder eine neue Welle des Protektionismus."Deswegen sollten wir Handelsbarrieren abbauen, statt neue zu errichten", sagte De Wever.
Ein Appell, der offensichtlich verhallte, denn nur wenige Stunden später kündigte Donald Trump neue Zölle an, unter anderem auf Arzneimittelimporte, für die ein Aufschlag von bis zu 100 Prozent fällig werden soll. Sollte es dabei bleiben, dann wäre das ein Horrorszenario für die belgische Pharmaindustrie.
Nochmal zum New Yorker Rednerpult, wo De Wever am Ende seiner Rede nochmal auf Thukydides zurückkam: "Lasst uns beweisen, dass das Schicksal der Menschheit sich nicht darauf beschränkt, zu dominieren oder zu leiden, sondern dass Zusammenarbeit und Wohlstand im Mittelpunkt stehen sollten. Das ist die Mission der Vereinten Nationen; und so sollte es auch immer bleiben.
Roger Pint