Es ist wirklich keine Übertreibung, wenn man sagt, dass sich am Freitag im Brüsseler Justizpalast das "Who's who" der belgischen Justiz eingefunden hatte: Angefangen bei den Magistraten, die den neuen gemeinsamen Aufruf an die Föderalregierung unterzeichnet haben, also die Ersten Präsidenten des Kassationshofes, der Appellationshöfe und der Arbeitsgerichtshöfe, der Generalprokurator beim Kassationshof, die Generalprokuratoren bei den Appellationshöfen und der Föderalprokurator.
Und sie waren nicht allein: Es waren so viele weitere Justizvertreter erschienen, um das Anliegen zu unterstützen, dass der Saal, in dem die Pressekonferenz stattfand, bei Weitem nicht ausreichte und man sich im wahrsten Sinne des Wortes einen Weg bahnen musste, um noch hineinzugelangen. Und die Justiz wollte damit eine klare Botschaft senden, unterstreicht André Henkes, emeritierter Generalprokurator beim Kassationshof. Henkes war in den vergangenen Monaten auch stark involviert in die Vorbereitung dieser Aktion. Es gehe nicht nur um Zahlen, so Henkes. Es sei auch um eine Demonstration der Stärke der dritten Verfassungsgewalt gegangen.
Es sei das erste Mal in der Geschichte Belgiens, dass die Judikative zusammenkomme, um Anerkennung und Respekt zu verlangen von der Legislative und der Exekutive, also vom Parlament und der Regierung, so Katrin Stangherlin, Erste Präsidentin des Arbeitsgerichtshofs Lüttich.
Der Unmut der Magistrate ist ganz sicher auch nicht kleiner geworden in den vergangenen Wochen. Dass die Regierung den Rotstift auch bei den Pensionen der Magistrate ansetzen wolle, das sei ein Signal in die völlig falsche Richtung gewesen, so Henkes. Menschen, die ohnehin schon stark unter Druck stünden, auch noch die Pensionen kürzen zu wollen, mit denen sie vielleicht schon geplant und gerechnet hätten, das sei möglicherweise das berühmte Tröpfchen zu viel gewesen, das das Fass zum Überlaufen gebracht habe. Man beklage sich weniger über die Tatsache, dass es um ein paar Cent weniger gehe. Sondern vielmehr über den Plan an sich. Das sei kein Respekt gegenüber der dritten Verfassungsgewalt und denjenigen gegenüber, die dort arbeiten müssten. Die Justiz wehre sich auch dagegen, mitteltechnisch vernachlässigt zu werden, so Henkes. Mittel, die sie brauche, um den Dienst am Bürger erfüllen zu können. Ein Dienst, den sie erfüllen müsse, wohlgemerkt. Denn das schreibe die Verfassung vor.
Anfang des Monats hatten ja auch bereits die Prokuratoren des Königs einen entsprechenden offenen Brief an die Regierung geschrieben, um die Missstände anzuprangern. Seitdem habe es auch Treffen mit Kabinettsmitgliedern der Regierung gegeben, so der Prokurator des Königs von Eupen, Frédéric Renier. Dabei habe die Regierung der Justiz gegenüber aber nur sehr wenig Respekt gezeigt, so Renier weiter. Deshalb gehe man nun einen Schritt weiter, nun seien es nicht mehr nur die Prokuratoren, sondern die gesamte Justiz. Und nun wiederhole man also noch einmal, aber noch deutlicher die Botschaft, dass die Justiz eben nicht nur ein weiteres Detail in der Staatsstruktur sei. Und dementsprechend auch korrekt finanziert werden müsse.
Und noch etwas ist den Justizvertretern sehr wichtig: Es gehe nicht um persönliche Forderungen individueller Magistrate, unterstreicht Nathalie Corman, Präsidentin der Gerichte des Gerichtsbezirks Eupen. Es gehe um die Sache, das sei sehr wichtig zu verstehen.
Das Problem der Finanzierung betreffe auch nicht etwa nur die Justizvertreter, hebt in diesem Zusammenhang Katrin Stangherlin hervor. Es gehe auch um bessere Arbeitsbedingungen für alle, die mit der Justiz zusammenarbeiteten. Also zum Beispiel für externe Experten. Zum einen gebe es sowieso einen Mangel an entsprechend qualifizierten Experten. Hinzu komme das Problem der unzureichenden und oft nur sehr schleppenden Bezahlung dieser Experten. Das mache es für sie beispielsweise de facto unmöglich, noch deutschsprachige medizinische Experten zu finden. Es tue ihr dann auch furchtbar leid, wenn sie den Menschen während der Sitzung erklären müsse, dass sie sich von einem Arzt auf Französisch untersuchen lassen müssten, weil es einfach nicht anders gehe. Das finde sie furchtbar für die Menschen.
Ein ganz großes Problem beziehungsweise eine Hauptforderung der Justizvertreter ist aber natürlich, den Beruf attraktiv zu halten. Denn nur so schaffe man es heutzutage noch, Menschen zu rekrutieren, führt André Henkes aus. Das sei in der Justiz auch nicht anders als in jedem anderen Bereich. Und Attraktivität bedeute gute Gehälter. Aber nicht nur: Die Menschen müssten sich am Arbeitsplatz auch wohlfühlen, das Arbeitsumfeld sei also auch ein ganz entscheidender Faktor. Diverse Gerichte im Land seien personell unterbesetzt. Nicht nur, weil die Kader nicht aufgefüllt würden, sondern schlicht und ergreifend auch, weil ein Teil des Personals durch Burn-out ausfalle, die Magistratur inbegriffen. Die Menschen in der Justiz seien teilweise am Rand der Erschöpfung, warnt Henkes. Da müsse nur irgendwo eine Panne passieren und schon entstehe wieder ein Rückstau an Fällen. So etwas müsse vermieden werden.
Der Mangel an Mitteln hat ganz konkrete Folgen für die Bürger, schlägt Nathalie Corman in die gleiche Kerbe: Die Unterfinanzierung der Justiz führe dazu, dass die Magistrate manchmal gezwungen seien, Prioritäten zu setzen bei ihrer Arbeit. Und egal welche Wahl man dann treffe, es sei immer eine schlechte Wahl. Denn schließlich gehe es ja letztlich immer um Menschen, die von diesen Entscheidungen betroffen seien. Deshalb glaube die Justiz, dass das die Demokratie in Gefahr bringe. Hier gehe es um die Wahrung des Rechtsstaats. Und um die Wahrung der Rechte der Bürger. Was hingegen absolut falsch sei, das sei die Vorstellung, dass es hier um den Komfort der Justizvertreter gehe. Es gehe um den Sozialen Frieden, die Justiz setze sich also ein für die in Belgien lebenden Menschen.
Boris Schmidt