Nicht alle Karten scheinen offen zu liegen bei dem neuen Streit, der die Föderalregierung gerade belastet. Vooruit hat den Streit öffentlichkeitswirksam vom Zaun gebrochen. Ein kluger Schachzug, wie die Zeitung Het Nieuwsblad es am Mittwoch kommentiert. Denn auf diese Weise können die flämischen Sozialisten ihr Profil als linke Partei in einer eher Mitte-Rechts-lastigen Regierung mit einem Aufreger-Thema schärfen.
Es geht um die Rentenreform. Am 13. April hatte sich der Ministerrat auf Details geeinigt. Unter anderem sollen Renten ab 5.000 Euro nicht mehr an den Index angepasst werden, sondern nur noch um einen Minimalbetrag steigen. Viele weitere Details sind noch nicht bekannt. Aber Vooruit schlägt schon Alarm. Denn die Sozialisten behaupten, dass gerade die MR nicht möchte, dass diese Reform auch für Abgeordnete und Minister gilt.
Aber - so sagt es die Vooruit-Föderalabgeordnete Anja Vanrobaeys: "Für uns ist das eine mit dem anderen verknüpft. Man kann nicht lauthals fordern, dass der normale Bürger die ganzen Einschnitte in Kauf nehmen muss und gleichzeitig sagen: Wir selbst belassen für uns alles wie es ist."
Vooruit betont Vorbildfunktion der Politik
Politiker müssten halt mit gutem Beispiel vorangehen. Wenn sie Opfer von den Bürgern fordern, dann müssten sie selbst bereit sein, mindestens die gleichen Opfer zu erbringen. Dazu seien die frankophonen Liberalen aber nicht bereit. "Es geht hier vor allem um die MR", betonte Vanrobaeys am Mittwochvormittag ganz ausdrücklich im Radio der VRT. Und fügte hinzu: "Wenn es nach der MR gehen würde, dann würden die Reformen ja noch viel drastischer ausfallen. Und dann ist es ja doch überraschend, dass die MR blockiert, wenn es um ihre eigenen Renten geht."
Die MR also als Buhmann? Auch die Äußerungen aus den Reihen der flämischen Christdemokraten weisen in diese Richtung. Der CD&V-Föderalabgeordnete Franky Demon sagt: "Wir sind für die Anpassung der Abgeordneten-Regelungen. Aber wir haben einen französischsprachigen Partner, der damit seine Probleme hat. Wir werden probieren, diesen Partner mit Argumenten zu überzeugen."
MR weist die Vorwürfe zurück
Aus den Reihen der Angeklagten äußerte sich am Mittwoch der MR-Kammerabgeordnete Benoît Piedboeuf bei der VRT zu den Vorwürfen, seine Partei wolle die Rentenreformen nicht für Abgeordnete und Minister anwenden. "Wir haben doch schon eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, vor einigen Jahren", sagte Piedboeuf. "Man darf nicht glauben, dass wir nur etwas für andere entscheiden und selbst nichts machen. Das stimmt nicht."
Piedboeuf spielt damit auf Reformen an, die im Parlament 2014 für die Abgeordneten beschlossen wurden. Auf die verwies am Mittwoch auch MR-Chef Georges-Louis Bouchez in einem Tweet auf X. In dem schreibt er auch, dass bereits im Regierungsabkommen Ende Januar klargestellt wurde, dass alle Reformen, die die Bürger betreffen, auch für die Abgeordneten gelten werden. Anders ausgedrückt: Der MR-Chef weist alle Vorwürfe von sich und behauptet indirekt, dass Vooruit nur aus Profilierungssucht mit irgendwelchen Behauptungen an die Öffentlichkeit getreten ist.
Premier De Wever übt indirekt Kritik
Wie schon gesagt: Alle Karten liegen bei dem Streit wohl nicht offen auf dem Tisch. Und auch die Äußerungen von Premierminister Bart De Wever zu diesem Streit bringen da keine Klarheit. Sie machen aber deutlich, dass sich De Wever ein anderes Verhalten des Koalitionspartners Vooruit gewünscht hätte. De Wever sagte auf Nachfrage der VRT: "Es ist nun mal so, dass diese Angelegenheit vom Parlament entschieden werden muss. Man kann das Ganze natürlich aufblasen und eine Kontroverse daraus machen. Ich brauche das nicht. Ich habe noch niemanden gehört, der bezweifelt, dass die Abgeordneten die gleichen Einschnitte in Kauf nehmen müssen wie der Rest der Gesellschaft."
Kay Wagner