Ins Rollen kam der Fall eigentlich schon im vergangenen Oktober. Erste Opfer gingen mit ihrer Geschichte anonym an die Presse. In der VRT erzählte eine junge Frau, was ihr passiert war: Sie habe mit Freunden auf der Terrasse gesessen, als ihr plötzlich "anders" geworden sei: irgendwie verwirrt war sie, dann auch aggressiv. Und dann sei sie aufgestanden und verschwunden. Ihre Freunde hätten drei Stunden nach ihr gesucht, bis sie wieder aufgetaucht sei.
Sie wisse nicht, was in den besagten drei Stunden passiert ist, in denen sie verschwunden war. Ein Arzt bestätigte später ihren unheimlichen Verdacht: Sie wurde sexuell missbraucht. Das ist nicht die einzige Aussage dieser Art, die damals in den Medien veröffentlicht wird: Insgesamt elf junge Frauen gaben an, im Ausgehviertel in Kortrijk das Opfer von "Drink Spiking" geworden zu sein.
Gleiches Muster
"Drink Spiking", dafür gibt es im Deutschen keinen wirklich prägnanten Begriff. Gemeint ist das unbemerkte Verabreichen von Betäubungsmitteln, die den Opfern ins Glas oder in die Flasche gemischt werden. "Das Muster ist immer das gleiche", sagte in der VRT Tom Janssens, Sprecher der Staatsanwaltschaft Westflandern. Den jungen Frauen wird im Café ein Kurzer angeboten, also ein Shot. Das Getränk schmeckt meist so ein bisschen wie Amaretto. Später verlieren sie das Bewusstsein. Am nächsten Morgen werden sie dann wach, in einem fremden Bett, manchmal auch im eigenen. Und sie zeigen klare Anzeichen von sexuellem Missbrauch.
"Drink Spiking": Betäubungsmittel im Getränk. Früher lief das unter dem Oberbegriff KO-Tropfen; gemeint war in der Regel der Wirkstoff Flunitrazepam, der unter dem Markennamen Rohypnol bekannt ist; später dann auch GHB ('Liquid Ecstasy'). Inzwischen nutzen die Täter häufig Ketamin, ein Betäubungsmittel, das vor allem in der Tiermedizin eingesetzt wird.
Fünf Festnahmen
Elf solcher Fälle wurden im Oktober vergangenen Jahres bekannt. Allesamt im Ausgehviertel in Kortrijk. Die Polizei nimmt Ermittlungen auf. Einige Verdächtige werden festgenommen, müssen aber später wieder auf freien Fuß gesetzt werden, wegen Mangels an Beweisen.
Doch die Polizei lässt nicht locker. Man geht der Sache weiter nach. Bis am Dienstag dann gleich fünf Personen festgenommen wurden, darunter drei örtliche Kneipenwirte. Einer von ihnen wurde nach seinem Verhör wieder freigelassen, die übrigen vier sollen aber einem Untersuchungsrichter vorgeführt werden, sagt Justizsprecher Tom Janssens.
Es sollen eben diese Kneipenwirte gewesen sein, die den Opfern selbst einen dieser ominösen Shots angeboten haben, die mit Betäubungsmitteln versetzt waren. Womöglich erklärt das auch, warum die jungen Frauen nicht misstrauisch wurden.
Eine Art "Sport"
Bei ihren Untersuchungen blickten die Ermittler regelrecht in Abgründe. So stellt sich heraus, dass das Ganze für die Täter zu einer Art "Sport" wurde. Sie kannten sich, tauschten sogar Erfahrungen aus, und häufig wurden auch dieselben Betäubungsmittel benutzt. Es handele sich vielleicht nicht um eine kriminelle Vereinigung, man könne aber durchaus von einem Netzwerk sprechen, sagt der Sprecher.
Und es sei nicht auszuschließen, dass auch noch weitere Personen von den Machenschaften wussten, sagt der Sprecher. Unter den Verdächtigen sind jedenfalls Personen, die auch schon im vergangenen Herbst festgenommen worden waren. Inzwischen scheinen die Ermittler also womöglich mehr in der Hand zu haben.
Nur die Spitze des Eisbergs?
Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass sich die Zahl der Opfer seit Oktober doch deutlich erhöht hat: 41 junge Frauen haben sich inzwischen bei der Polizei gemeldet. Und die Justizbehörden schließen nicht aus, dass sich diese traurige Liste in nächster Zeit noch weiter verlängern könnte. "Die Opfer wissen jetzt jedenfalls, dass die Polizei und Justizbehörden ihre Klagen ernst nehmen und die Ermittlungen unvermindert vorantreiben", sagt der Sprecher.
Roger Pint