Über 600 Jahre ist der Karneval in Binche schon alt und gehört zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit. Nicht zuletzt deshalb wird er mit vollem Ernst von seinen Akteuren gelebt.
Die bekanntesten Figuren dieses Karnevals sind die Gilles. Sie ziehen traditionell immer am Veilchendienstag, dem sogenannten Mardi Gras, durch die Straßen der Stadt.
Und neben dem Dienstag ist in der Karnevalszeit der Tulpensonntag der zweitwichtigste Tag des Karnevals. Auch an diesem Tag ziehen verkleidete Gestalten in Kostümen durch die Straßen.
Erstmals - wenn die Überlieferung denn stimmt - waren dieses Mal auch Frauen mit dabei. In einer eigenen Gruppe liefen sie beim Zug mit, der ansonsten - wie auch am Veilchendienstag - eine reine Männerangelegenheit ist.
Die Motivation für die Frauen, mit dieser Tradition zu brechen, war ihr Bedürfnis, den Karneval genauso erleben zu können wie ihre Männer, Väter und Söhne. "Die Folklore muss sich ändern, denn die Gesellschaft ändert sich ja auch“, bringt Bénédicte Rassaux, eine der Initiatorinnen der Frauen-Gruppe, die Beweggründe auf den Punkt.
Aber da Karneval mitunter eine ernste Angelegenheit ist, durften die Frauen nicht einfach so mitziehen. Sie mussten einen Antrag stellen beim Komitee, das sich um die Tradition des Karnevals in Binche kümmert.
Dort wurde der Antrag, auch am Veilchendienstag mitzuziehen, mit 75 Prozent der Stimmen abgelehnt. Nur die Teilnahme als Gruppe - nicht aber als "Gesellschaft", was einen Unterschied im Karneval von Binche bedeutet - wurde den Frauen zugestanden.
"Man muss den Dingen Zeit lassen. Hundertjährige Traditionen wirft man nicht so einfach über den Haufen", erklärt Didier Rombaux, Präsident der Vereinigung zur Wahrung der Folklore des Karnevals in Biche. "Das wird diskutiert werden. Sie, die Frauen, müssen sich darum bemühen, um diejenigen zu überzeugen, die die Folklore pflegen und leben. Sie werden am Ende darüber entscheiden.“
Tatsächlich haben die Frauen vor, für nächstes Jahr wieder einen Antrag zu stellen, mitziehen zu dürfen bei den Karnevalszügen in Binche. Dann auch am Dienstag. "Sobald man über Folklore spricht, spricht man über Identität. Über etwas, was jeder auf seine Art lebt, oft sehr intensiv. Es ist wichtig, das zu respektieren", bringt Bénédicte Rassaux sogar Verständnis für die Absage in diesem Jahr auf.
Respekt also für die Meinung des anderen, trotzdem der Versuch, die Mentalitäten zu ändern - so gehen die Frauen in Binche vor. Diese Strategie liegt voll auf Linie mit den Überzeugungen der wallonischen Ministerin für kulturelles Erbe, Valérie Lescrenier von Les Engagés.
"Ich finde Tradition und Folklore gut. Aber ich denke auch, dass alle Dinge sich ändern dürfen. Dass Frauen jetzt Schritt für Schritt Teil dieser Folklore werden und an diesen Veranstaltungen teilnehmen können, ist eine positive Entwicklung", so Lescrenier.
Kay Wagner