"Warum hab' ich mir das angetan?" Ob sich Bart De Wever diese Frage in den letzten Wochen und Monaten schon mal gestellt hat? Man weiß es nicht. Aber: Verwundern würde es nicht.
Erstmal die knapp achtmonatige Regierungsbildung, bei der der N-VA-Chef eine Geduld an den Tag gelegt hat, die so mancher ihm nicht zugetraut hätte. Und, kaum ist die Regierung im Amt, da fliegen ihr schon Teile ihres Haushalts um die Ohren. In den Zeitungen waren da in den letzten Tagen jedenfalls alarmierte Berichte zu lesen, mit denen der föderale Regierungschef denn auch Mittwoch im zuständigen Kammerausschuss konfrontiert wurde.
Ein toxisches Geschenk
Bart De Wever ließ sich dabei aber nicht in die Enge treiben und verwies zunächst einmal auf die Vorgängerregierung. "Man muss erst mal sehen, wo wir herkommen", sagte De Wever. Die Vivaldi-Koalition habe ein unglaublich toxisches Geschenk hinterlassen. Würde man alles einfach so weiterlaufen lassen, dann würde das Haushaltsdefizit regelrecht explodieren, von 21 auf dann mehr als 40 Milliarden. Bei "unveränderter Politik", wie man sagt, würde das Land also schlicht und einfach finanziell ausbluten. Damit ist Belgien die Rote Laterne innerhalb der kompletten OECD.
Allein diese Hämorrhagie zu stoppen, das sei schon eine Herkules-Arbeit, sagt De Wever. Und, um das zu erreichen, habe sich diese Regierung zudem für einen anderen Weg entschieden als sonst gemeinhin üblich in diesem Land. "Wir haben eben nicht an der Steuerschraube gedreht", sagt De Wever. Dies schlicht und einfach, weil die Steuerlast in Belgien ohnehin schon viel zu hoch ist.
Und wer die Einnahmen nicht erhöht, der muss eben an den Ausgaben sparen. Erreichen wolle diese Regierung das über Strukturreformen, etwa im Bereich Arbeitsmarkt. Genau da setzen aber die Kritiker an. Die Regierung habe den Retour dieser Maßnahmen, also zum Beispiel die erhofften Einsparungen zu optimistisch eingeschätzt.
Auf diesen Vorwurf antwortet der Premier nuanciert. Generell könne man schon mit diesen sogenannten Rückzahlungseffekten rechnen, das sähen auch die Fachleute so. Inwieweit sich die Prognosen am Ende bewahrheiten werden, "tja, diese Frage ist berechtigt", sagt De Wever mit doch erstaunlicher Offenheit. Eben deswegen habe die Regierung aber Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Erstens rechne man damit, dass sich die Retoureffekte schrittweise einstellen. Und für alle Fälle habe man im Haushaltsplan 2029 einen Puffer vorgesehen in Höhe von zwei Milliarden Euro.
"Wir werden sehen"
Aber, zugegeben: Das laufende Jahr könnte schwierig werden, räumt De Wever im selben Atemzug ein. Die Regierungsbildung habe leider zu lange gedauert, was dazu führt, dass einige Maßnahmen zu spät in Kraft treten können. 2025 sei letztlich ein Übergangsjahr. Und die Regierung werde alles tun, um dafür zu sorgen, dass die Ausgangsposition für 2026 so stark wie eben möglich ist.
Und obendrauf kommt dann noch der neue geopolitische Kontext. Kurz und knapp: Europa wird massiv in seine Verteidigung investieren müssen. Auch hier verweist De Wever erst mal auf die Vorgänger. Alle Regierungen hätten das Zwei-Prozent-Ziel der NATO vernachlässigt. Und jetzt müsse seine Equipe eben die Scherben aufkehren. "Denn, es kann tatsächlich sein, dass wir besagtes Zwei-Prozent-Ziel nunmehr schneller erreichen müssen als ursprünglich vorgesehen", sagte De Wever. "Und, ja, das könnte unsere Haushaltsprobleme nochmal vergrößern. Wir werden sehen".
"Wir werden sehen", das klingt fast wie die berühmte Maxime von De Wevers illustrem Vorgänger Jean-Luc Dehaene: "Man muss die Probleme lösen, wenn sie sich stellen". In der Tat: Die Entscheidung liegt erst mal bei der EU-Kommission. Sie könnte zum Beispiel festlegen, dass die Verteidigungskosten aus den Haushalten herausgerechnet werden dürfen. Das dürfte auch eins der Themen sein beim EU-Sondergipfel nächste Woche in Brüssel.
Roger Pint