Es war quasi in der Hitze des Gefechts, als Innenminister Bernard Quintin nach dem Mord an einem 19-jährigen Mann in der U-Bahnstation Clemenceau am Wochenende diese Aussage machte: "Es ist wichtig, unseren Bürgern klarzumachen: Das hier ist nicht zu akzeptieren. Die Staatsgewalt wird das nicht weiter zulassen." Tatsächlich fand am Montag dann eine Dringlichkeitssitzung statt. Quintin hatte Justizministerin Annelies Verlinden und die Polizei dazu geladen. Den forschen Worten vom Wochenende folgte dabei die Erkenntnis: Schnelle Wunderlösungen gibt es nicht. Das gab Verlinden nach dem Treffen auch klar und deutlich zu.
Vor Ort in Anderlecht änderte sich deshalb auch direkt nur wenig. Sogar die Schießereien gingen weiter. So dass dem neuen Prokurator des Königs in Brüssel, Julien Moinil, am Dienstag schon der Kragen platzte. Im Brüsseler Regionalparlament wetterte er gegen die Hilflosigkeit, mit der die Politik auf die Gewalt aus dem Drogenmilieu reagiere. Vor allem mit den Föderalpolitikern ging er nicht zimperlich um. Die Situation sei wegen Untätigkeit desaströs.
Am Donnerstagabend nun in der RTBF wiederholte Moinil seine Kritik. Und kam dabei auf die kantigen Aussagen von Innenminister Quintin zurück. "Ich bin gespannt, ob diesen Worten tatsächlich konkrete Taten folgen werden, um die Polizei, die Justiz und alle anderen Akteure wirklich zu unterstützen", sagte der Prokurator. Mit den anderen Akteuren meinte er Mitarbeiter im Gesundheitswesen, der Erziehung und einer Reihe anderer Bereiche. In die müsse der Staat unbedingt zum Wohl der künftigen Generationen investieren. "Um zu vermeiden, dass in diesem Land die Kriminalität die Oberhand gewinnt über die Staatsgewalt", sagte Moinil.
Am Freitag dann gab es so etwas wie eine Antwort auf das Drängen des Prokurators: Die Föderalregierung hat eine Task Force zusammengestellt. Geleitet wird sie von Premier Bart De Wever, als Minister gehören ihr unter anderem Justizministerin Verlinden, Finanzminister Jan Jambon, Verteidigungsminister Theo Francken und natürlich auch Innenminister Bernard Quintin an. Der reagierte auf die Kritik des königlichen Prokurators am Mikrofon der RTBF doch etwas pikiert: "Ich habe nicht auf den Prokurator des Königs gewartet, um aktiv zu werden", sagte Quintin. "Ich bin seit drei Wochen Minister, und angesichts der Vorfälle habe ich klare, präzise und starke Maßnahmen getroffen."
Dann zählte Quintin auf: Verstärkung der Polizeipräsenz in Anderlecht, berittene Beamte und Panzerfahrzeuge in der Gemeinde, 30 zusätzliche Beamte der Bahnpolizei in der U-Bahn. In zwei Tagen würden außerdem 15 zusätzliche Beamte die Justizpolizei verstärken. Und: "Ich habe darum gebeten", sagte Quinin, "dass wir uns noch näher mit dem Waffenhandel beschäftigen. Zu viele Waffen, darunter auch Kriegswaffen, sind im Umlauf. Wir haben entschieden, dass die Koordination dazu jetzt auf föderaler Ebene abläuft. Um sicher zu sein, dass wir die Sache gut angehen."
Viele einzelne Maßnahmen also, die aber noch weit entfernt von dem globalen Ansatz sind, von dem Prokurator Moinil sprach. So ein Ansatz könnte jetzt von der Task Force in Angriff genommen werden. Vor dem Hintergrund der vielen Sparmaßnahmen, die die Föderalregierung plant, scheint ein Erfolg dieser Arbeit allerdings alles andere als garantiert.
Kay Wagner