Theoretisch können 68 Geistliche der katholischen Kirche jetzt aufatmen. Gegen sie wird kein Strafverfahren wegen sexuellen Missbrauchs eröffnet. In der Praxis werden allerdings nur 31 Geistliche auch wirklich aufgeatmet haben. Denn 37 Geistliche, gegen die Vorwürfe erhoben wurden, sind mittlerweile gestorben. Und das ist eine der Begründungen, warum es in der Operation Kelch letztlich doch nicht zu einem Prozess kommt.
37 der Beschuldigten leben nicht mehr, vier sind schon verurteilt, und bei den übrigen 27 gelten die Taten juristisch als verjährt. Fernand Keuleneer, Anwalt des Erzbischofs von Mechelen-Brüssel, gab sich entsprechend zufrieden nach der Bekanntgabe der Entscheidung. "Die Mitglieder der Ratskammer sind der Forderung der Staatsanwaltschaft gefolgt. Aus meiner Sicht ist das eine juristisch richtige und sehr ausgewogene Entscheidung, die gut begründet ist", sagte er der VRT.
Die Belgische Bischofskonferenz drückt ihre Erleichterung in einer Stellungnahme nicht so deutlich aus. Doch Erleichterung ist zwischen den Zeilen durchaus herauszulesen und dürfte in den Reihen der Bischöfe auch tatsächlich herrschen.
In der Stellungnahme wehren sich die Geistlichen noch einmal gegen die Vorwürfe, dass sie versucht hätten, die Untersuchungen im Rahmen der Operation Kelch zu beeinflussen. Die Kirche habe auch keine Unterlagen vernichtet oder unrechtmäßig zurückgefordert. Innerhalb der Kirche werde man weiter ein offenes Ohr für die Missbrauchsopfer haben und moralisch gegen Missbrauch vorgehen.
Nicht alle Geistlichen allerdings sehen sich durch diese Stellungnahme vertreten. Priester Rik Devillé hat sich zum Anwalt der Missbrauchsopfer gemacht. Er wertet die Entscheidung ganz anders. "Jetzt wissen wir es offiziell. Die Opfer mussten jahrzehntelang um Anerkennung kämpfen, die sie jetzt aber nicht bekommen werden. Das bedeutet, dass die Missbrauchsopfer keine Rechte besitzen in diesem Land."
Gegen die Entscheidung der Brüsseler Ratskammer kann noch Berufung eingelegt werden. Christine Mussche, die einige der Missbrauchsopfer als Anwältin vertritt, will sich das auch überlegen. Sie werde sich die Begründung der Entscheidung in Ruhe durchlesen und dann entscheiden.
Viele ihrer Mandanten seien sehr enttäuscht. "Viele Opfer, die bei der Sitzung heute anwesend waren, hatten sich erhofft, dass es eine Art Anerkennung ihrer Opferrolle geben würde. Das ist nicht passiert", sagte Mussche.
Einige der Opfer selbst, die bei der Bekanntgabe der Entscheidung in Brüssel vor Ort waren, bestätigen diese Enttäuschung. "Das ist sehr hart. Das ist ganz eindeutig Klassenjustiz. Überraschend ist es nicht", findet Lukas Vanden Berghe. Anne Winschermann sagt: "Ich bin ratlos. Ich habe kein Vertrauen mehr. Weder zur Kirche, noch in mein Rechtssystem. Ich hatte immerhin gehofft, dass man irgendwas sagt. Mir sagt, dass ich ein Opfer bin. Aber nein, nichts."
Kay Wagner