Als geschäftsführender Premierminister hütet sich Alexander De Croo natürlich tunlichst davor, sich in die potenziellen Untiefen der föderalen Regierungsverhandlungen zu begeben. Allerdings räumt auch er ein, dass eine vollwertige Regierung zu haben nicht das Schlechteste auf der Welt wäre angesichts der aktuellen Herausforderungen. Allerdings brauche man für diese Einsicht keinen Donald Trump, so De Croo im Interview mit der RTBF, schließlich seien bereits acht Monate seit den Wahlen vergangen.
Generell will sich der Premier nicht ausschließlich auf die aktuellen Entwicklungen in den Vereinigten Staaten konzentrieren. Es passiere sehr viel, aber Amerika hin oder her, den Europäern müsse eines klar sein: Man müsse selbst stärker werden. Das gelte insbesondere - aber nicht nur - in puncto Politik und Wirtschaft. Europa sehe sich vielen Herausforderungen gegenüber, beispielsweise den hohen Energiepreisen, notwendigen Investitionen, Bürokratieabbau und so weiter. All das müsse man sowieso angehen.
Natürlich sei es besser, auch in Zukunft auf eine Partnerschaft mit den USA zählen zu können, aber dazu brauche es eben immer zwei willige Seiten. Was einen möglichen Handelskrieg mit Trump angeht, gibt sich der Premier betont gelassen. Erstens sei noch keine Entscheidung über mögliche Einfuhrzölle auf europäische Produkte gefallen. Und zweitens sei ein Handelskrieg für beide Seiten schlecht, auch für die Amerikaner. Man dürfe auch nicht vergessen, dass Millionen US-Bürger in den Staaten für europäische Betriebe arbeiteten. Hinzu komme das enorme Volumen der Handelsströme. Amerika habe bei einem Handelskrieg also schlicht nichts zu gewinnen.
Dennoch lege Europa aber nicht die Hände in den Schoß und warte nur reaktiv darauf, was Trump wohl als nächstes mache, betont der Premier. Die Europäische Kommission, die ja zuständig sei für die europäische Handelspolitik, bereite sich bereits auf alle Eventualitäten vor. Klar sei: Wenn es Maßnahmen gegen die europäische Wirtschaft gebe, dann müssten auch Gegenmaßnahmen ergriffen werden, das sei ja wohl normal. Er bevorzuge zwar, solche Auseinandersetzungen oder einen Handelskrieg zu vermeiden. Aber man müsse sich nun einmal an eine neue Welt anpassen. Und dazu gehöre auch, sich nicht einschüchtern zu lassen.
Ein anderes wichtiges Dossier für Europa ist dann natürlich die Sicherheit und in diesem Zusammenhang vor allem die Frage, ob die Vereinigten Staaten unter Trump der Nato den Rücken zukehren könnten. Er glaube nicht, dass Trump diesen Schritt machen werde, bekräftigt der Premier, denn das könne den Vereinigten Staaten zum Nachteil gereichen. Man dürfe etwa nicht vergessen, dass es in der Geschichte der Nato bisher nur einen Bündnisfall gegeben habe - wohlgemerkt ausgerufen von den USA nach den Anschlägen des 11. September.
De Croo unterstreicht in diesem Zusammenhang allerdings auch, dass er es durchaus nachvollziehbar und logisch findet, wenn die Vereinigten Staaten darauf bestehen, dass alle ihren Beitrag leisten zum Militärbündnis. Sprich also, dass die Europäer ihre Verteidigungsausgaben erhöhen. Zumindest im Rahmen der bestehenden Zwei-Prozent-Verpflichtung der Nato. Zu einer möglichen weiteren Erhöhung dieser Verpflichtung, wie ja von Trump gefordert, will sich De Croo hingegen nicht äußern. Das sei die Aufgabe anderer, so der geschäftsführende Premierminister.
Boris Schmidt