Es ist die Texaco-Tankstelle "Prince d'Orange" in Uccle, in der die ganze Geschichte um Didier Reynders ihren Anfang nimmt. 2021 wird die Nationallotterie auf das "total außergewöhnliche" Profil eines Kunden aufmerksam, der in regelmäßigen Abständen in dem Tankstellen-Shop große Summen Bargeld in sogenannte "E-Tickets" steckte. Mit diesen E-Tickets kann man dann online an Gewinnspielen der Nationallotterie teilnehmen.
Regelmäßig Lotto-E-Tickets für 3.000 Euro an der Tankstelle
Dieser Kunde mit dem "total außergewöhnlichen" Profil war Didier Reynders. Die Texaco "Prince d'Orange" ist nur einen Steinwurf von dessen Brüsseler Wohnung entfernt. Die Zeitung Le Soir hat eine Verkäuferin ausfindig machen können, die Didier Reynders häufiger bedient hat. Die Ermittler haben ihr sogar Fotos von Didier Reynders gezeigt, auf denen sie den "besonderen" Kunde eindeutig identifizierte. Der sei meistens nachmittags in den Shop gekommen, und habe dann gleich für zwei- bis dreitausend Euro Lose der Nationallotterie gekauft. 3.000 Euro ist die Obergrenze bei Barzahlungen, und das gilt auch für Produkte der Nationallotterie. Besagte Verkäuferin jedenfalls erzählt weiter, dass sie schon von einem Ex-Kollegen vor diesem aparten Stammkunden "gewarnt" worden sei. Bei ihm müsse man "sehr diskret" bleiben, und das Geld dann sofort in den Tresor bringen.
Doch war Didier Reynders eben nicht nur dem Personal aufgefallen: Auch bei der Nationallotterie waren die Warnleuchten angegangen. Die Texaco "Prince d'Orange" wurde 2021 als Verdachtsfall eingestuft, weil nirgendwo sonst noch nicht mal ansatzweise so viele E-Tickets verkauft wurden wie dort. Und dann stellte sich auch noch heraus, dass die meisten von einem einzigen Kunden erworben wurden, dem man dann also ein "total außergewöhnliches" Profil attestierte. Und erst damit setzte sich das Räderwerk in Gang, das Anfang Dezember vergangenen Jahres dann in der Hausdurchsuchung bei Didier Reynders gipfelte.
Scheibchenweise Einzahlung von 800.000 Euro aufs Sparbuch
Laut Le Soir war die Texaco-Tankstelle "Prince d'Orange" in Uccle für Didier Reynders schon der Plan B. Seine offensichtlich unbändige, in jedem Fall maßlose Lust auf Rubbellose der Nationallotterie begann erst Mitte des Jahres 2018. Und Le Soir konnte jetzt rekonstruieren, warum das so war. Demnach hatte Reynders seit - mehr oder weniger - 2010 in regelmäßigen Abständen größere Bargeldbeträge auf sein Konto bei der ING-Bank eingezahlt. Am Ende ging es da um stolze 800.000 Euro, die also scheibchenweise auf dem Sparbuch gelandet waren.
800.000 Euro "cash" - wenn auch über rund zehn Jahre gestreckt - müssten eigentlich auffallen. Zumal Didier Reynders kein Kunde wie jeder andere ist. Er gehört nämlich zu den sogenannten "politisch exponierten Personen", kurz PEP, für die bei allen Banken Sonderbestimmungen gelten. Konkret: Mandatsträger stehen unter genauerer Beobachtung. Und doch wird ING erst aktiv, als sich schon besagte 800.000 Euro an Bareinzahlungen zusammengeläppert hatten. Laut Le Soir habe sich ING Mitte des Jahres 2018 an Didier Reynders gewandt und den MR-Politiker um nähere Auskünfte über seine Bareinzahlungen gebeten. Wie hat Reynders darauf reagiert? Fragezeichen. Fakt ist, dass danach keine Bareinzahlungen mehr eingingen.
Stattdessen sei Reynders von da an regelmäßig in die Texaco "Prince d'Orange" gegangen und habe sein Geld in E-Tickets gesteckt. Zwischen 2018 und 2024 sollen es insgesamt 200.000 Euro gewesen sein. Auch das war - wie gesagt - ausschließlich Bargeld. Für diese insgesamt knapp eine Million Euro wird Reynders einen Herkunftsnachweis erbringen müssen.
Verdachtsmeldung der ING-Bank erst Jahre später
Aber zurück zur ING: Die Bank hat es offensichtlich erst mal bei der Bitte um Auskünfte belassen. Nach 2018 gab es nach Informationen von Le Soir erst mal keine weiteren Demarchen. Dabei haben die Banken eigentlich die Pflicht, im Falle eines "atypischen Verhaltens", das vom betreffenden Kunden nicht erklärt werden kann, eine Verdachtsmeldung zu machen. Dazu kam es aber zunächst nicht. Erst 2023 übermittelt die ING eine solche Verdachtsmeldung an die für die Bekämpfung von Geldwäsche zuständigen Stellen. Vielleicht - so Le Soir - vielleicht man bei ING inzwischen erfahren, dass zu diesem Zeitpunkt schon die Ermittlungen gegen Reynders liefen wegen seines "total außergewöhnlichen" Spielerprofils bei der Nationallotterie.
Die Frage ist: Warum hat die Bank fünf Jahre mit der Verdachtsmeldung gewartet? ING wird diese Frage beantworten müssen. Die zuständige Abteilung der Nationalbank hat eine "Inspektion" eingeleitet, um zu ermitteln, ob ING gegen die Anti-Geldwäsche-Verordnungen verstoßen hat. ING wollte sich Le Soir gegenüber nicht zu dem Sachverhalt äußern. Und auch der Anwalt von Didier Reynders bleibt bei dem, was er schon vor einigen Wochen per Kommuniqué erklärt hatte, nämlich, im Wesentlichen, dass sein Mandant seine Unschuld beteuere.
Roger Pint