Ein Wahlkampf-Interview für seine Partei oder Person hätte Georges-Louis Bouchez wohl nicht erfolgreicher gestalten können als die noch nicht einmal zwei Minuten zu Beginn seines Gesprächs, zu dem die RTBF ihn heute früh kurz vor acht Uhr eingeladen hatte.
Denn alles, was Bouchez da sagte, hörte sich so an, als ob er sich zum Sprachrohr der großen Mehrheit der Belgier machen wollte. Genau das aussprach, was so viele im Land zurzeit denken - bezogen auf die Bildung der neuen Föderalregierung.
Ob er an diese noch glaube, an den erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen über die Arizona-Koalition - das war die Einstiegsfrage des RTBF-Journalisten. Bouchez antwortete: "Ich glaube weiter daran. Das ist die einzige Mehrheit, die rechnerisch stabil ist. Aber damit es was wird, müssen einige ihr Verhalten ändern."
Klares Signal der Wähler vergessen
Damit war der Ton gesetzt. Eine Mischung aus persönlicher Überzeugung, objektiver Analyse und Sticheleien gegen Personen, deren Namen Bouchez aber nicht aussprach. Wobei es kein großes Geheimnis ist, dass Bouchez sich vor allem über den Vorsitzenden der flämischen Sozialisten von Vooruit, Conner Rousseau, ärgert.
Was auch in Bouchez' nächster Äußerung deutlich anklang. Da sagte er: "Ich glaube, dass einige sechs Monate nach den Wahlen schon ein bisschen das Wahlergebnis vergessen haben - manchmal funktioniert eben nur das Kurzzeitgedächtnis - und damit das klare Signal der Wähler vergessen haben. Nämlich das Signal, Reformen durchzuführen. Reformen, die einen Mitte-Rechts Stempel tragen."
Wieder ein Seitenhieb auf Vooruit, die einzige Partei, die nicht dem Mitte-Rechts-Spektrum der Arizona-Koalition angehört. Womit Bouchez im Klartext auch sagte: Ohne Vooruit würde alles besser klappen. Hätten wir vielleicht jetzt schon eine neue Regierung.
Mut zu notwendigen Reformen gefragt
Stattdessen rede man um den Brei herum, diskutiere über das Vorgehen. "Manche stellen sogar die Person des Regierungsbildners in Frage", sagte Bouchez. Um direkt hinzuzufügen: "Das alles ist aber gar nicht das Problem. Alles liegt auf dem Tisch. Jetzt muss man nur noch ein bisschen mutig sein."
Mutig sein, um die Reformen zu beschließen, die beschlossen werden müssen. Dass diese am Anfang vielen nicht gefallen würden, das wisse er auch, sagte Bouchez. Aber die Reformen seien nun mal notwendig. Obwohl er nicht wisse, ob das wirklich alle verstanden hätten. Auch von denjenigen, die mit ihm am Verhandlungstisch sitzen.
Doch Politik zu gestalten, das bedeute nicht nur zu spielen, sagte Bouchez. Er selbst liebe ja auch die Sozialen Medien, er sei dort sehr präsent. Aber Politik sei eben mehr als nur Fotos auf diesen Medien zu posten. Politik bedeute auch, Entscheidungen zu treffen.
Außer dem Vooruit-Chef Conner Rousseau ist auch der Parteichef der CD&V, Sammy Mahdi, gern auf Sozialen Medien unterwegs. Auch er kann sich gut angesprochen fühlen von dieser Kritik von Bouchez.
Ob die geholfen hat, die Verhandlungen zu beschleunigen, mag dahingestellt sein. Zumindest hat Bouchez die MR positioniert. Mit der klaren Botschaft: An den frankophonen Liberalen liegt es nicht, dass es immer noch keine Föderalregierung gibt.
Kay Wagner