Es war klar, dass sie sich äußern musste: Karine Lalieux von der PS ist zwar nur noch geschäftsführend Föderalministerin für soziale Integration und Armutsbekämpfung. Aber dennoch auf föderaler Ebene und damit in letzter Instanz weiter verantwortlich für das, was am Öffentlichen Sozialzentrum, kurz ÖSHZ, in Anderlecht passiert.
Zumal der Skandal ja nicht erst gestern begonnen hat, sondern alles schon ein paar Jahre in Anderlecht so laufen soll. Also auch schon in der Zeit, in der Lalieux über die vollen Kompetenzen einer Föderalministerin verfügte.
Über das, was jetzt in der Pano-Reportage der VRT ans Licht gekommen ist, gab sich Lalieux im Radio der RTBF empört. "Ich habe die Reportage gesehen", sagte sie, "und selbstverständlich: Das, was ich gesehen habe, ist nicht zu akzeptieren. Da passieren Dinge, die weder den Bürger noch das Gesetz respektieren. Die Situation muss unbedingt geklärt werden."
Die Reportage hatte gezeigt, wie Menschen ohne tatsächlichen Wohnsitz in Anderlecht und ohne tatsächlich Anrecht auf Sozialhilfe zu haben trotzdem Geld vom ÖSHZ erhalten hatten. Allerdings erst nach monatelangem Warten - normalerweise muss ein Antragsteller innerhalb von 30 Tagen eine Antwort zu seinem Antrag erhalten.
Außerdem im Fokus der Kritik: Das Verhalten des ehemaligen und des aktuellen Leiters des ÖSHZ, beides PS-Politiker. Sie sollen an den Prozeduren vorbei Menschen direkt geholfen haben - der Vorwurf des Klientelismus steht im Raum. In der Pano-Reportage gab der ehemalige Leiter das auch öffentlich zu.
Alles keine neuen Informationen, sagte dazu etwas überraschend Lalieux. "Bezüglich des ÖSHZ Anderlecht wussten wir bereits, dass es dort Schwierigkeiten gibt beim Management und bei den Prozeduren", so Lalieux. "Seit 2021 beobachten meine Verwaltung und meine Inspektoren das ÖSHZ Anderlecht. Seit mehr als drei Jahren wird das alles analysiert."
Doch wenn alles schon seit drei Jahren bekannt ist, warum sind die Zustände am ÖSHZ Anderlecht immer noch so unhaltbar, wie die Pano-Reportage es jetzt gezeigt hat? Lalieux verteidigte sich: "Es wurde bereits etwas geändert", behauptete sie. "Es hat Sanktionen gegeben, denn wir haben Rückzahlungen gefordert, das steht in den Berichten drin. Es hat Empfehlungen gegeben. Aber beim ÖSHZ Anderlecht muss man auch versuchen zu verstehen, dass es sich bei Anderlecht um die drittärmste Gemeinde handelt, dass jeder Sozialarbeiter 200 Dossiers zu bearbeiten hat und sie völlig überlastet sind."
Der RTBF-Journalist ließ das so stehen und fragte Lalieux lieber noch danach, was das alles vielleicht auch mit der PS zu tun haben könnte. Vor sieben Jahren hatte der Skandal beim Brüsseler Samusocial ja für viel Wirbel gesorgt. PS-Politiker hatten sich persönlich bereichert - aufgrund von Posten bei sozialen Einrichtungen. Wie es sein kann, dass jetzt wieder PS-Politiker im Verdacht stehen, ähnliches zu tun und das als normal zu empfinden?
Lalieux reagierte empfindlich, antwortete letztlich nicht auf die Frage, sondern versuchte abzulenken. Wörtlich sagte sie zum Vergleich mit dem Samusocial: "Ich möchte nicht, dass man das sagt. Im vorliegenden Fall wurden Prozedurfehler gemacht, legale Prozeduren nicht beachtet. Da werde ich streng sein. Aber alle Bevollmächtigten, alle Gemeinderatsmitglieder jetzt an den Pranger zu stellen, und auch alle Mitarbeiter dieser Sozialzentren, die eine hervorragende Arbeit leisten für die schwächsten Bürger unserer Gesellschaft, das kann ich nicht akzeptieren".
Kay Wagner