"Du temps pour le non-marchand" – "Zeit für den nicht-kommerziellen Sektor": Diesen Slogan haben die Organisatoren für die Großdemonstration in Brüssel gewählt. Die Organisatoren sind alle großen Gewerkschaften des Landes.
Bei der christlichen Gewerkschaft ist Sébastien Robeet Chef der Abteilung für den nicht-kommerziellen Sektor. Bei der RTBF erklärte er, dass der Slogan bewusst einen doppelten Sinn habe. Denn Zeit sei es für den nicht-kommerziellen Sektor zum einen, weil die Probleme des Sektors jetzt endlich auch mal gelöst werden müssten. Schon in den vergangenen zwei Jahren hatte der Sektor mit Großdemonstrationen auf seine Missstände aufmerksam gemacht. Ohne durchschlagenden Erfolg. Zum anderen brauche der Sektor aber auch mehr Zeit "um das richtig zu machen, warum Krankenschwestern, Erzieher, Lehrer oder Sozialarbeiter ihre Berufe überhaupt ergriffen hätten".
Zeit sei nämlich ein wichtiger Faktor in all den Berufen, die unter dem Schlagwort nicht-kommerzieller Sektor zusammengefasst werden. Zeit als wichtiges Element bei der Beschäftigung mit Menschen. Beim menschlichen Zusammensein grundsätzlich. Doch Zeit hätten Lehrer, Pfleger und Sozialarbeiter immer weniger, weil sie immer mehr Aufgaben erfüllen müssten. Und das vor allem, weil Mitarbeiter fehlten, um diese Aufgaben auszufüllen. Was wiederum daran liegen würde, dass die Arbeit zu unattraktiv geworden sei. Ein Teufelskreis.
Mehr Geld könne die Attraktivität der betroffenen Berufe natürlich steigern, sagt dazu Robeet. Aber eine generelle Lohnsteigerung sei nicht der eigentliche Grund für die Demo in Brüssel. Es gehe tatsächlich um mehr Zeit für das, wofür sich die Menschen engagiert hätten.
Teufelskreis muss ein Ende haben
Denn Zeit fehle nicht nur bei der Beschäftigung mit den anderen Menschen. Sondern Zeit fehle auch für die Mitarbeiter des Sektors selbst. Zeit, um abzuschalten vom Beruf. Zeit für Familie und Freizeit zu haben. Viele Mitarbeiter würden aus den Berufen ausscheiden, weil sie einfach ausgelaugt seien. Auch hier wieder: ein Teufelskreis.
Die Forderungen, das zu ändern, richten sich an alle politischen Entscheidungsträger im Land. "Wir richten uns nicht an Politiker des linken oder rechten Spektrums. Wir richten uns an die Politik allgemein, weil die Politik unser natürlicher Ansprechpartner ist. Wir müssen mit den Politikern reden, um unsere Arbeitsbedingungen festzulegen und unsere Arbeit attraktiv und so zu gestalten, dass man sie über Jahre hinweg ausüben kann.", sagt Gewerkschafter Robeet.
Wenn jetzt nichts getan werde, würde sich die Krise noch weiter vergrößern. Und das würde den Ernst der Lage noch weiter verschlimmern. Immer schlechter würden dann die Dienstleistungen in Pflege und Sozialarbeit, bei der Kinderbetreuung und in den Schulen ausfallen. Und das könne ja nicht im Sinne der Gesellschaft sein.
Konkret fordern die Demonstranten Antworten der Politiker. Gespräche seien mit allen neuen Regierungen und den aktuellen Regierungsbildnern vorgesehen.
Ob es zu den Gesprächen kommt und wie die ausgehen, das bleibt abzuwarten. Doch Antworten sind das mindeste, was die Demonstranten erwarten. Sollten diese ausbleiben, kann sich Gewerkschafter Robeet vorstellen, dass die Demo von Donnerstag der Beginn einer Kampagne sein könnte, die weitergeht.
Kay Wagner