Von außen sieht es eigentlich ganz harmlos aus: ein großer schwarzer, rechteckiger Kasten in etwa der Größe eines Schiffscontainers, der im Gebäude der Brüsseler Börse steht. Bei genauerer Betrachtung stellt man fest, dass es eigentlich sogar nur ein Stahlgerüst ist, das außen mit schwarzem Stoff verkleidet ist. Der Simulator hat auch einen Namen: "Poésie Masculine", übersetzt also "maskuline" oder "männliche Poesie". Aber das ist ein Euphemismus. Denn hier geht es um knallharte verbale sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum, auch als "Catcalling" bekannt. Also genau das, was vor allem viele Frauen und Mädchen wieder und wieder erleben müssen auf Straßen, Plätzen, in öffentlichen Verkehrsmitteln und so weiter.
Auf die Innenwände des Simulators werden zwölf verschiedene Figuren projiziert, wie Dimitri Cuypers gegenüber der VRT erklärt. Cuypers ist als Inspektor für die Abteilung Sexualstraftaten der Polizeizone Brüssel-Hauptstadt-Ixelles tätig. Sobald man sich den Figuren nähert, erwachen diese simulierten Belästiger virtuell zum Leben. Die Besucher werden dann angesprochen beziehungsweise angemacht, beleidigt, eingeschüchtert und so weiter.
Ein konkretes Beispiel: Ein Mann in einem Schwimmbad, der Frauen quasi mit den Augen auszieht und ihnen erzählt, was er alles mit ihnen machen will. Also möglichst realitätsgetreue Abbildungen von typischen Alltagssituationen, in denen Catcalling auftreten kann.
In die Haut von Frauen schlüpfen
Das Projekt "Poésie Masculine" gibt es zwar schon etwas länger und es hat auch in Belgien schon Station gemacht. Aber der jetzige Einsatz des Catcalling-Simulators ist trotzdem eine Premiere, wie Cuypers hervorhebt. Das Polizeikorps der Zone sei das erste, das eine Partnerschaft eingegangen sei mit dem Team hinter "Poésie Masculine". Mit einem klar definierten Ziel: Möglichst viele Beamte sensibilisieren für das Phänomen Catcalling.
Es gehe darum, wirklich mal fünf Minuten in die Haut von Frauen zu schlüpfen, die täglich dieser Art von sexueller Belästigung ausgesetzt seien. Denn es sei einfach etwas ganz anderes, darüber zu lesen oder es selbst zu erleben – wenn auch nur in simulierter Form. Auf diese Weise hoffe man, den Polizeibeamten bewusster zu machen, welchen Risiken Opfer ausgesetzt seien, was sie durchlebten, wie sich die verbale sexuelle Belästigung auf ihre Freiheiten und ihr Leben auswirken könnten – und letzten Endes eine bessere Betreuung und Hilfe für Opfer zu ermöglichen.
Hohe Dunkelziffer
Cuypers ist auch überzeugt davon, dass Sensibilisierung bitter nötig ist – nicht nur in den Reihen der Polizei, sondern allgemein. Das Problem Catcalling werde oft heruntergespielt, die Dunkelziffer sei sehr hoch und nicht jedes Opfer erstatte Anzeige wegen sexuell motivierter Belästigung im öffentlichen Raum.
Auch deswegen ist der Simulator zu bestimmten Uhrzeiten der breiten Öffentlichkeit zugänglich – allerdings mit einer Altersbegrenzung auf mindestens 14 Jahre. "Denn das sind schon harte Sachen, die die simulierten Belästiger da teilweise sagen" erklärt Dimitri Cuypers. "Wenn Eltern aber der Meinung sind, ihren Kindern so etwas zumuten zu können, dann wird auch das ermöglicht."
Der Catcalling-Simulator "Poésie Masculine" steht noch bis zum 29. November im Gebäude der Brüsseler Börse. Mehr Informationen und auch Tipps, Werkzeuge und Kontaktadressen für Opfer von sexueller Belästigung findet man auf der Homepage des Projekts.
Boris Schmidt