Erst im Frühling hatten die EU-Staaten einen neuen Asyl- und Migrationspakt beschlossen. Aber damit war das Thema natürlich nicht abgehakt – im Gegenteil: Die vergangenen Monate haben örtlich begrenzt mehr illegale Grenzübertritte gebracht. Dann ist da noch der immer breitere Vormarsch rechter bis rechtsextremer Kräfte. Und auch beim Thema Rückführung abgelehnter Asylbewerber ist unübersehbar, dass das alles andere als eine Erfolgsgeschichte ist.
Kein Wunder also, dass der traditionelle EU-Oktober-Gipfel dieses Mal – und auf expliziten Wunsch der politisch Verantwortlichen hin – dem Thema Migration gewidmet ist. Für zusätzlichen Gesprächsstoff sorgen auch die jüngsten Entwicklungen, Stichwort: Asyl-Experiment in Albanien. Und dann ist da noch ein Brief, den die Vorsitzende der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, an die Staats- und Regierungschefs geschickt hat, und der natürlich auch im Kontext des italienischen Vorgehens gesehen werden muss.
Mehr Rückführungszentren in Drittstaaten angedacht
In dem Schreiben suggeriert von der Leyen, einen Gang höher zu schalten bei der Umsetzung bestimmter Elemente des Asyl- und Migrationspaktes. Und es ist darin auch die Rede von der Einrichtung sogenannter "Return hubs" in Drittstaaten, also außerhalb der EU. Diese Rückführungszentren sollen die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber beschleunigen. Kurz zusammengefasst sieht das italienische Projekt ja vor, dass aufgegriffene Flüchtlinge aus Ländern, die Italien als sicher einstuft, ihren Asylantrag in einem Zentrum außerhalb der EU stellen müssen.
Die rechte italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni will das Projekt am Rand des Gipfels auch mit diversen interessierten anderen EU-Staaten diskutieren. Belgien gehört allerdings nicht dazu: Die Geschichte habe gezeigt, dass diese Art von Vorgehen nicht wirklich viel bringe, so Premierminister Alexander De Croo. In Zukunft werde das vielleicht anders aussehen. Aber die aktuelle Bewertung sei deutlich: Diese Art von Zentren sei teuer und die Zahl der tatsächlich abgeschobenen Migranten sei gering. Aber man werde das in den kommenden Monaten beobachten.
De Croo setzt auf breitere Abkommen mit Drittstaaten
De Croo hat allerdings auch deutlich gemacht, dass Belgien Meloni und anderen Gleichgesinnten keine Steine in den Weg legen wird. Er werde keine entsprechenden bilateralen Initiativen von Ländern blockieren. Aber auf europäischer Ebene sehe man, dass breitere Abkommen mit Drittstaaten besser funktionierten, also Abkommen, in denen es nicht nur um Migration gehe, sondern auch beispielsweise um Investitionen und so weiter. Diesen Weg müsse man deshalb fortsetzen.
Der belgische Premier verweist in diesem Zusammenhang explizit auf die bereits geschlossenen Migrationsdeals mit Tunesien, Mauretanien, Marokko und Ägypten. Die Auswirkungen dieser Vereinbarungen seien deutlich spürbar, betont De Croo. Die Zahl der Migranten, die versuchten, von diesen Ländern aus illegal nach Europa zu gelangen, sei sehr stark gesunken. Europa müsse also auf diese Art von Deals setzen, die sich als wirklich wirksam erwiesen hätten. Diese Vereinbarungen müssten nicht nur erneuert, sondern auch weiter ausgeweitet werden, fordert der Premierminister. Das Ziel hierbei sei das Schließen echter Partnerschaften mit den Herkunftsländern der Migranten beziehungsweise mit den Transit-Ländern auf ihrer Route nach Europa.
Zahl der Abschiebungen nach Marokko laut Premier deutlich gestiegen
Die Deals, die auch Belgien mit Ägypten beziehungsweise Marokko geschlossen habe, beinhalteten auch Abschiebungen. Das habe in den vergangenen Wochen und Monaten zu einem sehr starken Anstieg der nach Marokko zurückgeschickten illegalen Migranten geführt. Diese Art von Deals sei recht technisch und kompliziert und schaffe es nur selten auf die Titelseiten der Zeitungen. Aber sie funktioniere gut, versichert der Premierminister.
Boris Schmidt