"Auch nach mehr als 30 Jahren ist es nie zu spät, um zu reden. Wenn Sie etwas wissen, teilen Sie es mit uns": ein flammender Appell aus dem Mund von Danny Frijters von der Polizei in Niederländisch-Limburg, denn in einem über 30 Jahre alten und bislang ungeklärten Fall haben die Ermittler nämlich jetzt plötzlich einen neuen Untersuchungsansatz.
Die traurige Geschichte beginnt am 13. Juli 1990 in Stein, einer kleinen limburgischen Gemeinde nicht weit von Roermond im niederländisch-deutsch-belgischen Dreiländereck.
Die damals 18-jährige Angelique Hendrix ist mit dem Fahrrad unterwegs. Sie ist auf dem Weg zu ihrer Freundin Mirjam Verboort, die im Nachbardorf Elsloo wohnt. Bis dahin sind es gerade mal rund drei Kilometer, doch sollte Angelique nie bei ihrer Freundin ankommen. Was den Fall noch seltsamer macht: Mirjam Verboort verschwand 1996 ebenfalls. Anderthalb Jahre später wurde ihre Leiche entdeckt.
Angelique Hendrix war jedoch wie vom Erdboden verschluckt. Die Ermittler tappten völlig im Dunkeln. Hatte sich Angelique vielleicht abgesetzt? Oder wurde sie das Opfer eines Gewaltverbrechens? Fast 35 Jahre lang mussten die Angehörigen in Ungewissheit leben.
Bis jetzt - bis die belgische Polizei eine DNA-Probe in eine Gen-Datenbank von Interpol einspeiste.
Die Datenbank trägt den Namen "I-Familia". Dort können genetische Fußabdrücke verglichen werden mit der DNA von Personen, die in anderen Ländern gefunden wurden und nie identifiziert werden konnten. "In dieser Datenbank hatten wir einen Treffer", sagte An Berger, Sprecherin der Föderalen Polizei, in der VRT. In der belgischen Gen-Datenbank befindet sich also eine Probe, die von einer Person stammt, die in einem anderen Land verschwunden ist.
Die Suche wird verfeinert, die belgische und die niederländische Polizei überprüfen dann noch mal alle Ergebnisse. Und am Ende gibt es einen eindeutigen Befund: Die Probe im belgischen Labor - von einem Schädel, der in Maasmechelen in Belgisch-Limburg entdeckt worden war - stammt von Angelique Hendrix.
Der Schädel wurde schon am 20. Mai 1991 gefunden, also kein Jahr nach dem Verschwinden von Angelique Hendrix. Maasmechelen, wo das makabre Beweisstück entdeckt wurde, befindet sich nur einen Steinwurf von Stein entfernt - aber auf der anderen Seite der Grenze.
Aus Sicht der Angehörigen muss das gleich in doppelter Hinsicht eine schmerzliche Erkenntnis sein. Erstmal natürlich, weil sie jetzt endgültig die Gewissheit haben, dass Angelique tot ist. Aber gleich danach kommt dann wohl auch schon der Gedanke, dass das tragische Schicksal der jungen Frau eigentlich schon vor 33 Jahren hätte geklärt sein können.
Allerdings muss man sagen: 1991 lebte man insbesondere in der Forensik noch in einer anderen Epoche. In den 1990er Jahren steckte die Gentechnik noch in den Kinderschuhen. "Es wurden z.B. noch nicht systematisch DNA-Untersuchungen vorgenommen", sagt Polizeisprecherin An Berger. "An dem besagten Schädel etwa wurde erst 2012 die erste Gen-Probe entnommen."
Das war aber auch schon wieder vor zwölf Jahren. Danach gab es allerdings noch gesetzliche Hürden. Proben von belgischen Tatorten oder aus belgischen Laboren konnten nur innerbelgisch verglichen werden. Erst im Februar dieses Jahres verabschiedete die Kammer ein neues DNA-Gesetz, das eben auch Vergleiche mit internationalen Datenbanken möglich machte. Schon damals hieß es, das könne zu Durchbrüchen unter anderem bei Cold Cases führen. Den Beweis sehen wir jetzt.
Wie Angelique zu Tode kam, das muss jetzt noch geklärt werden. Besagter Schädel wird den Gerichtsmedizinern da aber leider nicht mehr helfen können, denn es gibt ihn nicht mehr. 2020 wurde das Beweisstück vernichtet - wegen eines Missverständnisses, wie es hieß.
Für die Familie von Angelique Hendrix war das ein Schock. In der Zeitung Het Nieuwsblad zeigte sich der Bruder des Opfers fassungslos und wütend: "Jetzt können wir den Trauerprozess immer noch nicht abschließen".
Roger Pint