Polizeiwagen vor dem Gebäude; Ermittler, die Büroräume durchsuchen und die auch einige Dokumente beschlagnahmen, ein Beamter, der zum Verhör mitgenommen wird - Bilder, die die Hausherren lieber nicht sehen wollen. Und bestimmt nicht weniger als eine Woche vor einer wichtigen Wahl. So geschehen aber am Mittwoch am Hauptsitz der Französischen Gemeinschaft in Brüssel. Die Polizei- und Ermittlungsbehörden haben eine regelrechte Razzia durchgeführt - nicht nur in den Räumlichkeiten der "Föderation Wallonie-Brüssel", wie die Gemeinschaft gerne genannt wird, sondern auch am Hauptsitz der Organisation "Faucons rouges" in Huy. Denn die steht im Mittelpunkt der Affäre.
Hausdurchsuchungen in Brüssel und Huy - auch bei den Verdächtigen. Vier Personen seien zum Verhör festgenommen worden. Einer davon ist Beamter bei der Französischen Gemeinschaft, die drei anderen Mitglieder der Organisation "Faucons rouges" - rote Falken. Rot sind die gefiederten Freunde, weil sie zur sozialistischen Bewegung gehören. Die "Faucons rouges" sind so etwas wie die sozialistischen Pfadfinder. Die Jugendbewegung gibt es schon seit 1928. Sie organisiert kulturelle, sportliche und kreative Aktivitäten und zählt 30 Lokalsektionen in der Wallonie und in Brüssel.
Was wirft man diesen "Faucons rouges" vor? Die Organisation steht im Verdacht, sich auf betrügerische Weise Zuschüsse erschlichen zu haben, auf die sie kein Anrecht hatte, sagte Catherine Collignon von der ermittelnden Staatsanwaltschaft Lüttich in der RTBF. Zuschüsse eben von der Französischen Gemeinschaft. Das Spiel ging schon seit längerer Zeit so: Seit 2009, sagt die Staatsanwältin - seit 15 Jahren, was doch schon eine lange Zeit sei. Nach dem derzeitigen Ermittlungsstand gehe es hier um "mehrere Millionen Euro".
Die Zeitung Le Soir scheint es schon etwas genauer zu wissen. Demnach haben die "Faucons rouges" jährlich 200.000 Euro an unberechtigten Zuschüssen kassiert. Ob das Geld für 2024 schon geflossen ist, sei unklar. Wir sprechen hier aber von knapp drei Millionen Euro, die also zu Gunsten der Organisation vom Budget der Französischen Gemeinschaft abgezweigt wurden. Mehr wollte die Staatsanwältin nicht sagen. Die Ermittlungen seien schließlich noch in vollem Gange.
Aktiv mit der Justiz zusammenarbeiten
Dennoch: Schon jetzt ist der neuerliche Skandal hoch peinlich - und er kommt noch dazu zur Unzeit. Das Kabinett der Ministerpräsidentin der Französischen Gemeinschaft, Élisabeth Degryse, hat die Presseberichte inzwischen zwar bestätigt. "Sie wolle aber keinen weiteren Kommentar abgeben", ließ die Les-Engagés-Politikerin verlauten. Sie versichere aber, dass man aktiv mit der Justiz zusammenarbeiten werde, um Licht in diese Angelegenheit zu bringen. Élisabeth Degryse hat keine Lust, jetzt - so kurz vor der Wahl - eine Stellungnahme zu dem Fall abzugeben, auf die Gefahr hin, überhaupt in die Nähe des Skandals gerückt zu werden, mit dem sie schließlich nichts zu tun hat.
Für die PS kann das auf den ersten Blick anders aussehen: "Faucons rouges", sozialistische Pfadfinder, das klingt erstmal explosiv. Bei der PS schiebt man das Ganze aber ganz weit weg. Diese Roten Falken orientierten sich zwar an sozialistischen Werten, die Organisation verfüge aber über keine strukturellen Bindungen zur PS, beeilten sich die frankophonen Sozialisten klarzustellen. Es handele sich um eine Partnerorganisation, die aber ansonsten völlig unabhängig agiere, sagte ein PS-Vertreter in der RTBF.
Der zuständige Untersuchungsrichter hat noch bis Freitag Zeit, um gegebenenfalls Haftbefehl gegen die Verdächtigen zu erlassen …
Es ist nicht das erste Mal, dass die roten Falken gegen die Fensterscheibe fliegen. Im vergangenen Juni stand das Finanzgebaren der "Faucons rouges" schon einmal im Fokus. Damals wurde ein ehemaliges Führungsmitglied verdächtigt, rund 150.000 Euro für private Ausgaben veruntreut zu haben.
Roger Pint