"Seit zehn Jahren arbeiten wir an dem Text, jetzt müssen wir zum Abschluss kommen". Die Fraktionschefin der Grünen in der Kammer, Sarah Schlitz, gab sich am Mittwochmorgen in der RTBF entschlossen. Nach dem Motto: "Jetzt, oder nie!".
Seit sage und schreibe zehn Jahren verlangen die linken Parteien nun schon eine Änderung des Gesetzes, das Schwangerschaftsabbrüche regelt. Im Moment gilt, dass eine Abtreibung bis zu zwölf Wochen nach der Befruchtung erlaubt ist. Vor allem die Sozialisten und Grünen wollen diese Frist auf 18 Wochen verlängern. Außerdem soll die bisher vorgeschriebene sechstägige Bedenkzeit abgeschafft werden.
"Belgien hinkt inzwischen vielen anderen EU-Staaten hinterher", sagte Sarah Schlitz in der RTBF, "in Großbritannien etwa wurde die Frist auf 24 Wochen verlängert."
Das sei denn auch der Grund, warum immer mehr Frauen gezwungen seien, ins Ausland zu gehen, um dort einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen, argumentieren die Befürworter des Textes. Diese erhalten jetzt zudem Schützenhilfe aus der Fachwelt.
Der Gesetzesvorschlag, der eine Änderung der Abtreibungsgesetzgebung vorsieht, liegt nämlich längst nicht zum ersten Mal auf dem Tisch der Kammer. Vlaams Belang und N-VA sind strikt dagegen, deswegen wurde in der Vergangenheit die CD&V häufig zum Zünglein an der Waage. Um Zeit zu gewinnen, hatten die flämischen Christdemokraten beim letzten Mal durchgesetzt, dass sich medizinische Fachleute ein weiteres Mal zu dem Thema aussprechen.
Auf deren nun vorliegenden Bericht beruft sich auch Sarah Schlitz. Experten aller Couleur und aller Glaubensrichtungen empfehlen eine Reform, sagt die Grünen-Fraktionschefin. Man habe Hunderte Stunden an dem Entwurf gearbeitet, unzählige Anhörungen vorgenommen, jetzt sei der Text endgültig fertig.
Zudem ist der Zeitpunkt in den Augen der Befürworter einer Reform günstig. Denn - bildlich ausgedrückt - ist die Regierung nicht da, dann tanzen im Parlament die Mäuse. Konkret bedeutet dies, dass in Zeiten, in denen die Regierung nur geschäftsführend im Amt ist, genießt die Kammer einen seltenen Moment der Autonomie. Böse Zungen würden gar behaupten, dass das die einzige Phase ist, in der das Halbrund wirklich wie ein souveränes Parlament funktioniert.
Der Grund liegt auf der Hand: Weil die alte Koalition nicht mehr und die neue noch nicht existiert, gibt es keinen wirklichen Fraktionszwang. Da können also im Parlament auch mal Ad-hoc-Mehrheiten entstehen, bei denen sich also die Befürworter eines Gesetzesvorschlags über Fraktions- und Koalitionsgrenzen hinaus hinter einen Text scharen.
Nichts anderes sagt auch Sarah Schlitz in der RTBF: Im Gegensatz zur Regierung sei das Parlament voll "funktionstüchtig"; die Kammer sei handlungs- und entscheidungsfähig, in allen Belangen. Genau deswegen wollen allen voran die Grünen, Sozialisten und Marxisten jetzt also einen neuen Anlauf starten.
Im Juli hatten sie schon durchgesetzt, dass der Gesetzesentwurf zur Änderung der Abtreibungsgesetzgebung nach der Sommerpause prioritär behandelt wird. Das Thema steht denn auch am Mittwoch auf Platz eins der Agenda des Justizausschusses. Und eine Mehrheit sei möglich, sagt Sarah Schlitz: die OpenVLD sei dafür, die MR "mehr oder weniger" auch "und auch einige Mitglieder von Les Engagés" unterstützten den Vorschlag.
Es ist allerdings längst nicht das erste Mal, dass man zu Beginn einer Legislaturperiode einen solchen Entwurf ins Parlament einbringt. Funktioniert hat es nie. Und ob die Rechnung der Reform-Befürworter diesmal aufgeht, ist fraglich.
Wie die Zeitung De Standaard berichtet, gibt es derzeit doch so eine Art "virtuelle Koalition": Die Arizona-Parteien haben demnach abgesprochen, dass im Parlament keine Entscheidungen verabschiedet werden, die spürbare Auswirkungen auf den Haushalt haben könnten. Ob diese Vereinbarung auch für ethische Themen gilt, ist unklar. Doch selbst, wenn dem nicht so wäre: Jede Fraktion verfügt über ausreichend Möglichkeiten, um eine Abstimmung so lange zu verzögern, bis eine neue Regierung steht.
Die Opposition habe ohnehin nur die Absicht, die Arizona-Koalition zu spalten, hört man aus Kreisen der beteiligten Parteien. Aber das, so hört man, werde nicht gelingen.
Roger Pint