Im Rückblick liest es sich wie die Chronik eines angekündigten Todes: Die sinkende Nachfrage nach Elektroautos in Europa, wodurch Audi Brüssel nicht mehr dem Werk in Leipzig unter die Arme greifen musste. Die Entscheidung, das Nachfolgemodell des Q8 in Mexiko statt in Belgien zu fertigen. Das vorgezogene Ende der Brüsseler Q8-Produktion. Die Nicht-Verlängerung der Verträge für Zeitarbeiter. Und schließlich Kurzarbeit für die Stammbelegschaft.
Eine Kurzarbeit, die mit einem Knall in die vierwöchigen Betriebsferien überging, wie Franky De Schrijver von der sozialistischen Gewerkschaft am Dienstagmorgen in der VRT erklärt. In einer außerordentlichen Sitzung des Betriebsrats habe Audi mitgeteilt, dass 1.510 Mitarbeiter zum 31. Oktober entlassen werden sollen - gefolgt von zwei weiteren Phasen der Umstrukturierung im nächsten Jahr, mit der realen Möglichkeit auf dem Tisch, das Werk möglicherweise komplett zu schließen.
Mögliche Optionen diskutieren
Eigentlich hätte die Arbeit bei Audi Brüssel in dieser Woche wieder aufgenommen werden sollen. Aber die Direktion habe stattdessen eine zusätzliche Woche bezahlten Urlaub beschlossen - wohl auch, um die Zeit zu nutzen, um mögliche Optionen zu diskutieren und darüber zu kommunizieren. Das soll am Donnerstag passieren.
Schon am Montag gab es allerdings erste Gespräche zwischen Direktion und Gewerkschaften. Viel Neues sei dabei aber nicht herausgekommen, betont De Schrijver. Vom Produktionsleiter habe es nur geheißen, dass in der Konzernzentrale nach langfristigen Lösungen für Audi Brüssel gesucht werde - allerdings ohne Details zu nennen.
Der Gewerkschafter relativiert auch Zeitungsberichte, dass es Übernahmekandidaten und damit neue Hoffnung für Audi Brüssel geben soll. Es sei die Rede von möglichen Investoren gewesen, unterstreicht De Schrijver. Aber was heiße das schon? Das sei zum jetzigen Zeitpunkt jedenfalls viel zu vage.
Neues Modell für Audi Brüssel nörig
Ohnehin hätten die Gewerkschaften nur eine Priorität. Ein neues Modell für Audi Brüssel. Nur so könne eine Weiterbeschäftigung für einen Großteil des Personals gewährleistet werden. Es werde aktuell nicht über irgendwelche Entlassungsmodalitäten gesprochen, bekräftigten auch andere Gewerkschaftsvertreter bei der Personalversammlung am Dientag vor der Audi-Fabrik.
Wie realistisch solche Forderungen sind, ist allerdings eine andere Frage angesichts der früheren Ankündigungen der Audi-Geschäftsführung und der Lage, die sich nicht wirklich verändert zu haben scheint. Entsprechend pessimistisch äußern sich auch viele der Angestellten und auch Zulieferer, die am Dienstag dem Aufruf der Gewerkschaften gefolgt waren.
Vor diesem Hintergrund ist auch fraglich, ob die Produktion bei Audi Brüssel tatsächlich wie geplant am Montag wieder anlaufen wird. Die Menschen verlangten Klarheit über ihre Zukunft, so zum Beispiel Ronny Liedts von der christlichen Gewerkschaft. Die habe die Geschäftsführung noch nicht geliefert. So lange das so bleibe, werde es knifflig sein, zurück an die Arbeit zu gehen. Eine Einschätzung, die auch De Schrijver teilt. So lange es keine konkreten Lösungen für Audi Brüssel gebe und keine Garantien für die Zukunft, werde die Wiederaufnahme des Betriebs wohl schwierig werden.
Nun heißt es in jedem Fall erst einmal darauf warten, was der Donnerstag an neuen Erkenntnissen bringen wird. Die Gewerkschaften haben jedenfalls schon für den 16. September zu einer großen Unterstützungsdemonstration für die Audi-Mitarbeiter in Brüssel aufgerufen.
Boris Schmidt