Eigentlich ist Fentanyl ein Medikament, das als Schmerzmittel eingesetzt wird oder in höheren Dosen auch von Anästhesisten als Narkotikum. Das Problem ist aber, dass es ein extrem starkes Schmerzmittel ist, wie die nationale Drogenkommissarin Ine Van Wymersch im Interview mit der VRT erklärt. Fentanyl sei in seiner Wirkung mit Morphin zu vergleichen, sei aber hundert Mal stärker. Fentanyl ist auch 50 Mal stärker als Heroin. Oder um es drastischer auszudrücken: Für eine Überdosis Heroin sind 30 Milligramm nötig, bei Fentanyl weniger als ein Milligramm.
Wie verheerend das sein kann, das sieht man an den Vereinigten Staaten. Die USA hätten eine echte Fentanyl-Krise, erklärt die Drogenkommissarin. 100.000 Menschen seien dort allein im letzten Jahr an einer Überdosis Fentanyl gestorben. Das hat auch eine einfache Erklärung: ein sehr günstiger Preis und einfache Verfügbarkeit. Eine Pille Fentanyl koste dort höchstens fünf Dollar. Und aus einem Kilo Fentanyl könne man eine Million Pillen herstellen.
"Abhängigkeits-Beschleuniger"
Deswegen müsse sich die nächste Föderalregierung bewusst machen, dass nicht die Frage sei, ob Fentanyl nach Belgien kommen werde, sondern wann. Tatsächlich sei Fentanyl auch bereits auf dem belgischen Drogenmarkt anwesend, unterstreicht Van Wymersch. Allerdings noch nicht in purer Form. Dafür aber vermischt mit anderen Drogen, denn die Drogenkartelle nutzen die chemischen Eigenschaften von Fentanyl.
Fentanyl mache extrem schnell abhängig. Deswegen könne man Fentanyl durchaus als Abhängigkeits-Beschleuniger für andere Drogen bezeichnen. Vielen Drogenkonsumenten sei überhaupt nicht bewusst, dass ihre Dealer ihnen auch Fentanyl unterjubelten. Und da die genaue Zusammensetzung der Drogen meist unbekannt sei, sei das ein Risiko, auf das die Konsumenten unbedingt aufmerksam gemacht werden müssten.
Die Drogenkommissarin hat außerdem nicht den allergeringsten Zweifel daran, dass die Kartelle auch in Belgien massiv auf Fentanyl setzen werden, wenn sie die Chance wittern, so noch mehr Geld zu machen. Die gesamte notwendige Infrastruktur für den Drogenschmuggel und -handel sei ja ohnehin vorhanden.
Auch die Einrichtung geheimer Labore zur Produktion von Fentanyl in Belgien selbst sei in dieser Hinsicht kein Problem. Die Herstellung von Fentanyl sei nicht aufwändig und erfordere nur günstige Chemikalien. Diese Chemikalien würden bereits heute aus China nach Belgien geschmuggelt, um andere Drogen herzustellen.
Zwei Ansätze
Dennoch will die nationale Drogenkommissarin den Kampf gegen Fentanyl keinesfalls als eine von vornherein verlorene Schlacht verstanden wissen. Sie verweist in diesem Zusammenhang unter anderem auf die Lehren und Empfehlungen, die amerikanische Experten aus ihrer Fentanyl-Epidemie gezogen haben.
Die Vorbereitung auf die zu erwartende Fentanyl-Problematik müsse zum einen darin bestehen, Todesopfer durch Überdosen zu verhindern. Das beste Mittel dafür sei, die Wirkung von Fentanyl zu neutralisieren – ein entsprechendes Gegenmittel namens Naloxon gibt es nämlich. Die Rettungskräfte und Sicherheitsbehörden müssten aber wissen, wo sie mit Fentanyl-Fällen rechnen müssten – dafür müssten etwa Daten von Krankenhäusern und Polizeieinsätzen miteinander verknüpft werden.
Der zweite Schritt müsse dann aber natürlich sein zu verhindern, dass die Kartelle viel Geld mit Fentanyl verdienen können – sei es nun in purer Form oder als Sucht-Beschleuniger für andere Drogen.
Boris Schmidt