Bei Bauarbeiten im Industriegebiet von Ghislenghien kommt es Ende Juni 2004 zu einem fatalen Unfall. Eine der schweren Baumaschinen beschädigt beim Graben eine von zwei Erdgas-Hochdruckleitungen, die in einer Tiefe von nur etwas mehr als einem Meter liegt. Der Zwischenfall wird zwar gemeldet. Aber es passiert nichts.
Rund einen Monat später, am 30. Juli gegen 06:40 Uhr, fällt einem Arbeiter auf der Baustelle der Fabrik Gasgeruch auf. Allerdings dauert es mehr als eine Stunde, bis er seine Vorgesetzten darüber in Kenntnis setzt. Und fast anderthalb Stunden vergehen, bis auch die lokale Feuerwehr von Ath darüber informiert wird. Diese trifft zehn Minuten später, um kurz vor halb neun, im Industriegebiet ein.
Etwa 15 Minuten später ruft die Feuerwehr beim zuständigen Gasnetzbetreiber Fluxys an, der umgehend einen Techniker losschickt, um das Gas abzudrehen. Er wird zu spät kommen.
Zwischenzeitlich beginnen die Rettungskräfte mit der Evakuierung des Gebiets. "Eine Minute vor der Explosion wurden wir gewarnt, dass eine Gefahr besteht und dass evakuiert werden muss. Noch während des Gesprächs kam es zu der enormen Explosion", berichten zwei Arbeiter einer benachbarten Firma, die damals mit dem Leben und unversehrt davongekommen sind.
Es ist 08:57 Uhr, als ein gewaltiger Feuerball alles in einem Umkreis von etwa 300 Metern vernichtet. Es spielen sich apokalyptische Szenen ab. Eine etwa 150 bis 200 Meter hohe Feuersäule ist kilometerweit sichtbar. Der Knall der Explosion soll laut Zeugen bis ins 40 Kilometer entfernte Brüssel zu hören sein.
Es sei zehn Mal schlimmer gewesen als ein Erdbeben, ein unerträglicher Lärm, berichtet dieser Anwohner, der etwa drei Kilometer vom Explosionsort entfernt wohnt. Trümmerteile werden später bis in eine Entfernung von sechs Kilometern gefunden. "Der ganze Erdboden hat gebebt", bestätigt ein Polizist, der als einer der ersten am Katastrophenort eintrifft. "Die Feuersäule war hundert Meter hoch und noch einen Kilometer entfernt war die intensive Hitze des Brandes zu spüren und der Lärm dieser riesigen Gasfackel war ohrenbetäubend".
Viele Opfer wissen zuerst gar nicht, was das eigentlich über sie hereingebrochen ist. Das Dach sei in Sekunden eingestürzt, berichtet etwa eine Überlebende in Archivmaterial der VRT. Es sei wie ein Tornado gewesen, so als ob ein Jumbo-Jet oder ein großes Flugzeug auf das Gebäude gestürzt sei. Niemand habe in dem Moment an die Explosion einer Gasleitung gedacht.
Und dann beginnt das Grauen für die Retter: Schon bei der Anfahrt seien ihnen etwa 500 Meter vom Unglücksort entfernt Verletzte entgegengekommen, berichtet der Polizist.
Die lokalen Einsatzkräfte bekommen schnell Unterstützung aus dem In- und Ausland, selbst die Armee wird mobilisiert. Aber auch sie können nichts mehr tun für die Toten, zu denen neben Baustellenarbeitern auch fünf Feuerwehrleute, ein Polizist, ein Angestellter von Electrabel und Autofahrer gehören, die gerade zufällig am Industriegebiet vorbeifuhren, als sich die Gasexplosion ereignete.
Boris Schmidt