"Eveline" hat viele Gesichter. Und viele Namen. Ihre Opfer kennen sie auch zum Beispiel als "Ariana" oder als "Emily". In Wirklichkeit sind all diese jungen, attraktiven und sehr kontaktfreudigen Frauen aber jemand ganz anders, nämlich ein flämischer Mann um die 30. Ein Mann, der offenbar süchtig ist nach privaten Aufnahmen von Jungen und Männern, die sie nackt oder in Unterwäsche zeigen.
Wie viele Opfer es gibt, ist unklar, denn viele von ihnen haben aus Scham nie Anzeige erstattet. Auch wie lange der Mann sein Unwesen treibt, wissen wir nicht genau, aber es sind in jedem Fall viele Jahre.
Um seine Sucht zu befriedigen, sind dem Mann offenbar alle Mittel recht. So gibt er sich nicht immer als Frau aus, manchmal mimt er auch den Profi-Fotografen auf der Suche nach Models. Die Masche ist allerdings immer die gleiche: Sobald er erstmal Bilder ergattert hat, übt er massiven Druck aus, um mehr zu bekommen.
Zu seinen Opfern gehören wohl Männer aus allen Gesellschaftsschichten. Zum Verhängnis wird ihm aber seine Besessenheit mit flämischen Prominenten. Dafür wird er Ende 2020 festgenommen, später aber wieder unter Auflagen auf freien Fuß gesetzt. Er kann es aber nicht lassen, es folgt eine zweite Festnahme, aber wieder kommt er unter Auflagen frei.
Und dieses Mal nimmt er eine andere, sehr spezifische Gruppe Personen ins Visier. Er sei im Oktober auf LinkedIn von einer jungen Frau angeschrieben worden, erklärt Robrecht De Keersmaecker, Generalanwalt in Antwerpen, in der VRT. LinkedIn ist ein Soziales Netzwerk für berufliche und geschäftliche Kontakte. Diese "Emily" habe angeblich Jura studiert und sei auf der Suche nach Kontakten gewesen.
Solche Kontaktaufnahmen sind auf LinkedIn üblich. Aber "Emily" wird sehr schnell sehr vertraut, drängt auf Treffen und Ähnliches. Das lässt den Generalanwalt misstrauisch werden, er forscht nach und stolpert über Ungereimtheiten. Etwa, dass die Telefonnummer nicht mit dem angeblichen Wohn- und Arbeitsplatz von "Emily" übereinstimmt. Und dass die Nummer bereits im Zusammenhang mit dem Vortäuschen falscher Online-Identitäten, sogenanntem "Catfishing", im Internet auftaucht.
De Keersmaecker erkundigt sich auch bei Kollegen und wird fündig. Andere Personen im Justizwesen wurden ebenfalls im gleichen Zeitraum von der gleichen Person auf die gleiche Weise kontaktiert. Das sei nicht nur ins Auge gesprungen, sondern habe ihn auch beunruhigt. Und "Emily" hatte nicht nur die Justiz ins Fadenkreuz genommen, auch Polizeibeamte.
Manche der Betroffenen hätten alle Annäherungsversuche abgeblockt, andere hätten sich zumindest bis zu einem gewissen Grad darauf eingelassen. Wenn diese Art von Personen beginne, intime Bilder zu teilen und sich damit erpressbar zu machen, dann sei das gefährlich, unterstreicht der Generalanwalt.
Besonders frappierend an dem Fall ist auch, dass De Keersmaecker ausgewiesener Experte für Cyberkriminalität ist. Das sei auch deutlich auf seinem öffentlich einsehbaren LinkedIn-Profil vermerkt, betont der Generalanwalt. Er könne also nur spekulieren, ob der Täter einfach nur unglaublich dumm gewesen sei - oder aber besonders dreist. Vielleicht habe der Mann gezielt Experten reinlegen wollen, um hinterher noch härter zuschlagen zu können, vermutet De Keersmaecker. Oder um sich mit seinen Taten brüsten zu können.
Ab Dienstag muss sich der Mann nun in Gent vor der Ratskammer verantworten. Ihm werden unter anderem Erpressung, Informatikfälschung, unerlaubte Verbreitung intimer Bilder, Voyeurismus und Stalking zur Last gelegt. Außerdem wird die Staatsanwaltschaft auch beantragen, ihn wegen des Besitzes von Kinderpornografie zu verfolgen. Denn auch solches Material ist mehrfach bei ihm gefunden worden.
Boris Schmidt