Brüssel hat in den letzten Monaten ja schon diverse Demonstrationen von Landwirten erlebt, darunter auch sehr heftige mit hohem Sachschaden. Das ist wohl auch mit ein Grund, warum die Bauern mit ihren Traktoren dieses Mal nicht in die Stadt beziehungsweise ins Europaviertel durften - mit Ausnahme einer kleinen Delegation für eine kurze symbolische Aktion vor dem Europäischen Parlament. Aber der Ersatzstandort war wohl nicht minder ikonisch. Seit Dienstagmorgen sammelten sich Landwirte von nah und fern auf dem Heyselgelände rund um das Atomium.
Zwischen 10.000 und 20.000 Demonstranten erwarte man, so Bart Dickens am Morgen gegenüber der VRT. Dickens ist der Vorsitzende der "Farmers Defence Force" Belgien, einer der Organisationen hinter dem Protest am Dienstag. Andere sprachen sogar von bis zu 25.000 erwarteten Teilnehmern. Wie viele es am Ende wirklich waren, hängt wie immer davon ab, wessen Zahlen man nimmt. Die Polizei zählte rund um das Atomium 1.200 Demonstranten und 500 Traktoren. Die Organisatoren geben an, dass es mindestens doppelt so viele Traktoren waren. Ziemlich sicher ist aber, dass die Zahl der Teilnehmer deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist.
Viele Bauern, die auch nach Brüssel wollten zum Demonstrieren, müssten auf dem Feld arbeiten, erklärte ein flämischer Bauer. Das schlechte Wetter habe zu so viel Zeitverlust geführt, dass sie nun alles dafür tun müssten, um das aufzuholen. Aber die Unterstützung für die Aktion sei sehr groß, versicherte er.
Ein anderer Grund könnte der Boykott durch die wallonischen Bauern sein. Die großen frankophonen Bauernverbände haben sich geweigert, ihre Mitglieder zum Mitmachen aufzufordern. Der Grund: Unter anderem die Farmers Defence Force wird von vielen als rechts eingestuft. Man finde sich nicht in den Forderungen der Organisatoren wieder, hieß es beispielsweise vom Verband der Jungbauern. Auch andere Verbände haben sich von den Organisatoren distanziert.
Dafür gab es zumindest moralische Unterstützung aus der rechtsextrem-euroskeptischen Ecke, auch Vertreter und Fahnen des Vlaams Belang und niederländischer rechtsextremer Parteien waren deutlich sichtbar anwesend bei der Veranstaltung.
Die Forderungen der Anwesenden waren dabei zumindest teilweise so divers wie ihre Nationalitäten. Neben vielen Flamen und auch Niederländern waren nämlich beispielsweise auch Deutsche, Spanier, Italiener, Franzosen, Polen und Rumänen vertreten. Und deren nationale Landwirtschaftspolitik und -probleme unterscheiden sich teils doch ziemlich voneinander.
Gemeinsam war ihnen allen aber eines: Sie sind sauer auf die Europäische Union und sind gegen den sogenannten "Green Deal", also den Plan der Europäischen Kommission, um Europa bis 2050 klimaneutral zu machen. Und sie alle finden, dass die politisch Verantwortlichen ihnen noch längst nicht weit genug entgegengekommen sind.
Sie kämpften für eine Zukunft der Landwirtschaft in Europa, erklärte eine Deutsche, für eine Versorgung mit europäischen Produkten und auch für die europäischen Bürger. Denn das sei wichtig, nicht nur für die Bauern, sondern für jeden einzelnen Bürger der Union.
Jeder wolle von seinem Beruf leben können, betonte diese Französin. Niemand wolle diese europäische Agrarpolitik, die einerseits ultraliberal sei und dann sei da noch dieser Green Deal, der den Bauern bisher gar nichts gebracht habe. Denn viele Landwirte sind der Meinung, dass sie unverhältnismäßig viel beitragen müssen zum Kampf gegen den Klimawandel – und zwar ohne etwas dafür zu bekommen.
Europa müsse seine Bauern erhalten, so ein niederländischer Demonstrant, sie wollten nicht ersetzt werden durch Wohnraum für immer mehr Menschen und durch Lebensmittelimporte von außerhalb Europas. Man hoffe auf eine Kursänderung nach den Wahlen.
Ob es wirklich dazu kommen könnte, das werden wir allerfrühestens nächste Woche erfahren, wenn die Stimmen ausgezählt sind. Aber zumindest sollte man positiv erwähnen, dass die Demonstration der Landwirte am Dienstag friedlich verlaufen ist.
Boris Schmidt