Kampf um jede einzelne Wählerstimme, der ständige Blick über die Schulter, Umfragewerte im Nacken, ein Auftritt nach dem anderen. Eigentlich sollten alle Spitzenpolitiker gerade Blut und Wasser schwitzen. Erst recht, wenn sie gleichzeitig noch wichtige Ämter bekleiden, so wie beispielsweise den Posten des Premierministers.
Wie also geht es Premierminister Alexander De Croo gerade? Die doch erstaunliche Antwort am Donnerstagmorgen bei Radio Twee: "Eigentlich absolut super", so De Croo. Denn er sei Tag und Nacht damit beschäftigt gewesen, die sieben Parteien seiner Koalition zusammenzuhalten. Aber damit sei ja nun Schluss, er könne sich also anderen Dingen widmen, er fühle sich in gewisser Weise geradezu befreit.
Viele vermuten ja auch, dass sich De Croo insgeheim schon darauf vorbereitet, nach Europa zu wechseln, als belgischer Kommissar etwa. Das aber verneint der Noch-Premier. Wenn er die Wahl habe zwischen Europa und Belgien, dann werde er sich immer für Belgien entscheiden.
Bleibt nur die Frage, ob er wirklich eine Wahl haben wird angesichts der ziemlich üblen Klatsche, die die Umfragen den flämischen Liberalen prophezeien. Wenn die Leute ihn gerne wieder als Premier hätten, dann müssten sie eben für seine Partei stimmen, so der nicht gerade überschäumende Pitch De Croos.
Einen wesentlich entschiedeneren Anspruch auf den Posten erhebt Bart De Wever, seines Zeichens ewiger N-VA-Chef. De Wever hatte das zwar schon früher angedeutet. Jetzt aber spricht er Klartext in der Zeitung Gazet van Antwerpen. Er will nicht nur Premierminister werden, er schließt andernfalls auch eine Regierungsbeteiligung der N-VA aus. Und zwar nicht nur auf föderaler Ebene, sondern auch in Flandern. Das nennt man im Poker wohl All-In-Gehen, alle Chips einsetzen.
De Wever betont allerdings auch, dass er eigentlich nur Premier werden will, weil er niemandem sonst über den Weg traut. Jeder, der sich freue bei so einer Lage der öffentlichen Finanzen Premierminister Belgiens zu werden, müsse eigentlich bekloppt sein, so der N-VA-Chef, oder wahlweise nur mit sich selbst beschäftigt.
Wie groß die Chancen sind, dass er tatsächlich nächster Premier wird, das steht freilich auf einem ganz anderen Blatt. Fakt ist jedenfalls, dass PS-Chef Paul Magnette erst vor zwei Tagen erklärt hat, dass für die frankophonen Sozialisten De Wever nicht als Premier in die Tüte komme. Die PS trete in keine Regierung ein, die von jemandem geleitet werde, der das Ende Belgiens wolle, so Magnette. De Wever seinerseits revanchiert sich, indem er den PS-Präsidenten ebenfalls auf keinen Fall als Premier in die Rue de la Loi einziehen lassen will.
Aber De Wever dürfte es auf frankophoner Seite auch sonst nicht leicht haben. Jean-Luc Crucke von Les Engagés etwa hat erst am Donnerstagmorgen unterstrichen, dass die N-VA nie die erste Wahl für seine Partei sein werde. Im Gegenteil, manche Kompetenzen müssten sogar wieder zurückgehen an den Föderalstaat. Und nicht vergessen: Les Engagés sind im Aufwind, nach den aktuellen Prognosen könnten sie auf Platz drei landen.
Der Vorsitzende der vielleicht bald größten frankophonen Partei, Georges-Louis Bouchez von MR, lehnt Gespräche mit der N-VA über eine Staatsreform zwar nicht grundsätzlich ab. Aber ganz sicher nicht, um das Ende Belgiens herbeizuführen, wie der frankophone Liberale in der VRT-Sendung Terzake unterstrich. Eine Regionalisierung von Polizei und Justiz etwa sei eine rote Linie, so Bouchez, so etwas mache keinen Sinn. Aber genau das will die N-VA ja unter anderem.
Und dann sind da zum Schluss noch die flämischen Grünen, die mit der N-VA höchstens eines verbindet: eine innige Feindschaft. Deren Co-Vorsitzende Nadia Naji hat zwar weder den Wunsch geäußert Premierministerin zu werden noch über eine eventuelle Staatsreform sinniert. Aber dafür hat sie bei Radio Een eine andere eindeutige Ansage gemacht: Groen werde nicht ohne die flämischen Sozialisten von Vooruit in eine Regierung eintreten. Denn nur zusammen hätten sie genug Gewicht, um eine progressive Politik durchzusetzen. Wobei angesichts der schlechten Umfragen für die Grünen deutlich ist, wer in diesem Tandem wohl der Juniorpartner wäre.
Boris Schmidt