23. Mai 2023: Die britische Journalistin Michela Wrong will in einem Restaurant im Matonge-Viertel - der Stadtteil in der Brüsseler Gemeinde Ixelles trägt seinen Namen wegen der großen afrikanischstämmigen Community, die hier wohnt - ihr neuestes Buch vorstellen. Darin schreibt sie über die Verhältnisse in Ruanda, wo Präsident Paul Kagame seit fast 25 Jahren mit harter Hand regiert.
"Do not disturb" ist eine Recherche über Ruandas ehemaligen Auslandsgeheimdienstchef Patrick Karegeya, der sich vom engen Weggefährten Paul Kagames zum enttäuschten Kritiker wandelte und in Südafrika im Exil ermordet wurde, mutmaßlich auf Geheiß der ruandischen Regierung.
Der Inhalt des Buches scheint nicht jedem zu gefallen. "Plötzlich ruft mich der Organisator der Buchvorstellung an und erzählt mir, dass er in Sozialen Netzwerken und auch in anonymen Telefonanrufen bedroht worden sei", sagte Wrong in der RTBF. Darin sei sie unter anderem als Rassistin und Völkermord-Leugnerin hingestellt worden. Und angesichts dieses Proteststurms habe man die Veranstaltung abgesagt.
Wrong war nicht die erste Journalistin, die in Brüssel den langen Arm aus Kigali zu spüren bekam. Die Kanadierin Judi Rever wollte 2014 auch ein Buch über das Kagame-Regime vorstellen. Sie musste am Ende sogar unter Polizeischutz gestellt werden. Nach einer Einschätzung des Anti-Terror-Stabs Ocam war die Journalistin einer ernsthaften Bedrohung ausgesetzt.
Für ruandische Staatsbürger, die mit dem Regime in Kigali über Kreuz liegen, ist das leider trauriger Alltag. In der RTBF kommt etwa Théogène Rudasingwa zu Wort. In der ersten Zeit war er noch ein Weggefährte von Präsident Kagame, war unter anderem der ruandische Botschafter in den USA. Inzwischen hat er sich von Kagame abgewandt. Er lebt jetzt im Exil in Brüssel. 2015 sei allerdings ein Mordanschlag auf ihn geplant gewesen, sagte er in der RTBF. Einer seiner Kontakte in Kigali habe in zum Glück rechtzeitig vor dem Komplott gewarnt.
Rudasingwa ist längst nicht der einzige ruandische Regimegegner, der ins Fadenkreuz der Dienste seines Heimatlandes geraten ist. 1998 wurde ein Gegner von Paul Kagame ermordet. Kagame selbst hat sich vor einigen Jahren bei einer Veranstaltung quasi zu der Tat bekannt. Der Mann sei gestorben, weil er eine rote Linie überschritten habe, sagte Kagame. Er sei jedenfalls nicht traurig über dessen Tod.
Veröffentlicht hat dieses Video die internationale Rechercheplattform "Forbidden Stories", der unter anderem die RTBF, Le Soir und Knack angehören. Die insgesamt 50 Journalisten aus elf Ländern haben eine ganze Reihe von Fällen gesammelt. Und daraus wird deutlich, dass das Kagame-Regime systematisch Oppositionelle oder Kritiker drangsaliert.
Es gab gleich mehrere Ausgangspunkte für die Recherche. Einer davon war der Tod des ruandischen Journalisten-Kollegen John Williams Ntwali, der im Januar vergangenen Jahres unter mysteriösen Umständen ums Leben kam. Dessen Kollege Samuel Baker wurde ebenfalls bedroht und zum Exil gezwungen.
In Brüssel sind die Journalisten sogar auf Hinweise gestoßen, die auf die Existenz einer Schlägertruppe hindeuten. Die werde gesteuert von der ruandischen Botschaft in Brüssel und werde unter anderem eingesetzt, um Demonstrationen oder die Besuche ruandischer Politiker im Sinne von Kigali zu "überwachen". Es geht auch subtiler und "moderner": Es sind bislang fünf Fälle bekannt, bei denen auf den Handys ruandischer Oppositioneller Spionagesoftware entdeckt wurde.
Irgendwann hatten die belgischen Sicherheitsdienste die Nase voll. Im vergangenen Jahr wandte man sich in aller Offenheit an die ruandischen Behörden. Die Botschaft habe wie folgt gelautet, sagte Stéphane Dutron, der neue Chef des Militärgeheimdienstes SGRS. "Wir können die Vergangenheit natürlich nicht ungeschehen machen. Aber wenn die Hindernisse, die die guten Beziehungen vergiftet haben, beiseitegeräumt werden, dann stehe einem herzlichen und professionellen Verhältnis nichts im Wege. "Was wir seither beobachten, das stimmt uns aber positiv", zitiert Le Soir den Geheimdienstchef. Anscheinend hat man in Kigali die Botschaft verstanden.
Roger Pint