Dass Tinne Van der Straeten und Georges-Louis Bouchez nie im Leben zusammen in Urlaub fahren würden, das wusste man ja schon. Inzwischen muss man sich aber die Frage stellen, ob sich beide überhaupt noch in ein und demselben Raum aufhalten können, ohne sich verbal an die Gurgel zu gehen.
Die Grünen waren seit jeher neben der PS der Lieblingsfeind von Georges-Louis Bouchez. Dass sie allesamt zusammen in der Vivaldi-Koalition gelandet sind, das könnte man als einen "Betriebsunfall der Geschichte" bezeichnen: Damals galt es, die Coronakrise zu managen und die Folgen abzufedern; da musste dann irgendwann doch schnell eine handlungsfähige Regierung her.
Als die Pandemie endlich den Rückzug angetreten hatte, wurden dann aber schnell die inhaltlichen Differenzen zwischen den verschiedenen Partnern deutlich. Ein ganz besonderes Reizthema war die Energiepolitik: Die Grünen wollten ihre 2003 begonnene Arbeit beenden und den Atomausstieg endlich besiegeln. MR-Chef Georges-Louis Bouchez war strikt dagegen, wehrte sich fast schon wie der sprichwörtliche Teufel im Weihwasserbecken.
Lange Zeit schien Bouchez auf verlorenem Posten zu sein, bis ihm ein neuer Zufall der Geschichte zu Hilfe kam: Der Ukraine-Krieg und die darauffolgende Energiekrise schafften neue Tatsachen. Gaskraftwerke, als Puffer für Dunkelflauten, waren plötzlich keine Option mehr. Und so mussten die Grünen am Ende eine gewaltige Kröte schlucken und einer Verlängerung der zwei jüngsten Kernkraftwerke zustimmen.
Diese Schlacht um die Atomkraft hat Spuren hinterlassen, vor allem bei den Grünen, aber offensichtlich auch bei den frankophonen Liberalen. Georges-Louis Bouchez jedenfalls hat unlängst in einem Interview mit der flämischen Tageszeitung De Standaard, nochmal kräftig nachgekartet. In seinem Fadenkreuz: Eben die Groen-Energieministerin Tinne Van der Straeten.
Und Bouchez ging da voll in die Vollen. Van der Straeten habe das Dossier manipuliert. Sie habe gewisse Zahlen und Gutachten instrumentalisiert, um ihren Willen durchzudrücken, zitiert De Standaard den MR-Vorsitzenden. Konkret geht es um die Zeit unmittelbar vor Beginn des Ukraine-Kriegs. Damals habe es noch geheißen, dass Belgien problemlos alle Reaktorblöcke abschalten könne.
Und dann habe der Hochspannungsnetzbetreiber Elia plötzlich doch die Meinung geändert und angegeben, dass mindestens zwei Meiler am Netz bleiben müssten. Entsprechend müsse auch die damalige Rolle von Elia und vor allem des damaligen Elia-Chefs Chris Peeters mal kritisch hinterfragt werden, sagt Bouchez. Und deswegen, so das Fazit des MR-Chefs, möge sich doch bitte ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss mit der Atom-Saga beschäftigen, also mit dem erst geplanten Atomausstieg, und wie er rechtfertigt wurde, und dann auch mit dem plötzlichen Meinungsumschwung.
Das nennt man einen Frontalangriff. Und die so Attackierte hat offensichtlich nicht vor, sich das bieten zu lassen. "Das sei einfach nur grotesk", reagierte Tinne Van der Straeten bereits am Montag in der Zeitung De Standaard.
Doch scheint ihr die Hutschnur nachhaltig geplatzt zu sein. Am Freitag legt sie -wieder in De Standaard- nochmal nach: Georges-Louis Bouchez habe ihr gleich zweimal vorgeworfen, gelogen und das Energie-Dossier zudem manipuliert zu haben. Er wolle das Ganze sogar von einem Untersuchungsausschuss prüfen lassen. Das müsse sie sich nicht bieten lassen. Diese Aussagen entbehrten jeder Grundlage, wiederholte sie ihre Reaktion in der VRT.
Und Bouchez müsste es eigentlich besser wissen, sagt Van der Straeten. Ihre Amtsvorgängerin, die MR-Kammerabgeordnete Marie-Christine Marghem, habe sie unzählige Male im Parlament schon mit den ewig selben Vorwürfen konfrontiert. Sie habe jedes Mal besonnen und in aller Transparenz darauf geantwortet. Aber Bouchez mache einfach weiter mit den haltlosen Anschuldigungen. Und das nur, um ihrem Ruf zu schaden. Und von dieser Sabotage-Politik habe sie die Nase voll.
Normalerweise beginnt so eine Rede, die den Ausstieg aus einer Koalition oder dergleichen rechtfertigen soll. Nicht bei Van der Straeten. Sie hat vielmehr die Absicht, Bouchez zu verklagen - wegen übler Nachrede, vielleicht sogar Mobbings.
Das allerdings wäre schon ein Novum. Denn eigentlich handelt es sich hier immer noch um eine politische Polemik, wenn auch mit harten Bandagen ausgetragen.
Georges-Louis Bouchez gab sich denn auch unbeeindruckt. Auf der Plattform X sprach er von "lächerlichen Klagen über rein politische Themen". Die politische Linke bedrohe die freie Meinungsäußerung und eine offene politische Debatte.
Roger Pint