Seit mittlerweile zehn Jahren sind die Parteien in Belgien gesetzlich dazu verpflichtet, ihre Wahlversprechen durchrechnen zu lassen. Diese Aufgabe übernimmt das föderale Planbüro, also die unabhängige öffentliche Einrichtung, die sich auch sonst mit Wirtschaftsprognosen befasst und mit der Analyse von politischen Maßnahmen.
Durch die Analyse der Wahlversprechen sollen den Bürgern auf neutrale und objektive Weise Zahlen an die Hand gegeben werden, mit denen sie dann mit den Politikern in Diskussion und Dialog treten können, erklärt Baudouin Regout, der Leiter des Planbüros, in der RTBF.
Die Hoffnung sei, dass sich alle Akteure der demokratischen Debatte der Zahlen des Planbüros bedienten – und den Wählern so die Entscheidung an der Urne erleichterten. Um wirklich eine qualifizierte Entscheidung treffen zu können, sollten sich besagte Wähler allerdings verschiedene Punkte bewusst machen. Das Planbüro hat nicht alle und nicht die kompletten Wahlprogramme durchgerechnet: Jede im föderalen Parlament vertretene Partei durfte maximal 30 Maßnahmen einreichen.
Gegebenenfalls enthalten die Wahlprogramme also weitere Maßnahmen, die hier nicht mit einberechnet sind, oder Maßnahmen, die die Parteien bisher einfach noch nicht auf den Tisch legen wollten, wie Bart Hertveldt vom Planbüro in der VRT erklärt.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass das Planbüro ausschließlich solche Maßnahmen beziffert, die seiner Meinung nach auch zu beziffern sind. Maßnahmen, deren Auswirkungen nicht oder nur sehr schwierig in konkreten Zahlen auszudrücken sind, fallen raus, genauso wie alle Maßnahmen, die nach aktueller Gesetzeslage gegen nationales, europäisches oder internationales Recht verstoßen würden.
Diese beiden Einschränkungen haben dazu geführt, dass bestimmte Wahlversprechen des rechtsextremen Vlaams Belang und der linksextremen PTB ebenfalls nicht berücksichtigt worden sind. Deswegen haben beide Parteien bereits im Vorfeld die Berechnungen des Planbüros abgelehnt.
Insgesamt ist das Planbüro aber sehr zufrieden, was die Vorbereitung der Maßnahmen-Dossiers durch die Parteien angeht, wie Hertveldt betont: Die Entwicklung gehe in die richtige Richtung, man müsse von einer klaren Verbesserung sprechen im Vergleich zur ersten Wahlversprechen-Analyse von 2019. Die aktuelle Analyse sei also sicher realistischer als beim letzten Mal.
Jetzt kann man sich natürlich vorstellen, dass diese Analyse bei zwölf Parteien und jeweils bis zu 30 Maßnahmen entsprechend ausführlich ausgefallen ist – so wie man es vom föderalen Planbüro schließlich auch nicht anders erwarten würde. Allein die Ergebnisse werden in jeweils neun Hauptpunkte unterteilt, die sich noch mal in insgesamt 25 weitere Unterpunkte verzweigen, das Ganze mit Grafiken, Tabellen und weiteren Erläuterungen.
Kurz gesagt: Zahlen-Interessierte können sich auf der frei zugänglichen Analyse-Webseite garantiert für sehr viele Stunden oder gar Tage beschäftigen.
Aufhorchen lässt aber in jedem Fall schon mal ein Befund: Die meisten Parteien würden mit ihren Maßnahmen theoretisch das Haushaltssaldo verbessern, so Baudouin Regout. Aber keine einzige Partei würde es schaffen, mit ihren eingereichten Maßnahmen den belgischen Haushalt wieder so in die Spur zu bekommen, dass er den EU-Budgetregeln genügen würde. Nach denen darf das Haushaltsdefizit ja nur drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes betragen.
Hinzu kommt aber sowieso noch die Tatsache, dass es extrem unwahrscheinlich ist, dass die nächste Regierung aus irgendetwas anderem als einer wie auch immer gearteten Koalition bestehen wird. Wir werden es sowieso mit einem Maßnahmen-Mix zu tun bekommen. Und dann gibt es ja auch noch das zynische geflügelte Wort, dass sich die Wörter "Wahlversprechen" und "brechen" sicher nicht ohne Grund reimen.
Boris Schmidt