Lange ließ Premierminister Alexander De Croo in der Kammer am Donnerstagnachmittag auf sich warten. Und es war schon früher Abend, als er schließlich doch noch kam. Entschuldigt durch das Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs knapp eineinhalb Kilometer von der Kammer entfernt. Dieses Treffen hatte deutlich länger gedauert als geplant.
Grund dafür war das große Interesse der Gipfel-Teilnehmer an einem Plan, den die belgische EU-Ratspräsidentschaft gemeinsam mit Spanien und Ungarn entwickelt hatte. Vergangenes Jahr nämlich hatte dieses so genannte Rats-Trio den ehemaligen Ministerpräsidenten von Italien, Enrico Letta, damit beauftragt, sich Gedanken zu machen über die Zukunft der EU. Letta sollte vor allem Antworten auf die Frage finden, wie die EU auf die aktuellen Herausforderungen weltweit reagieren soll - und zwar langfristig gesehen.
Auf eigenen Beinen stehen
Das Ergebnis liegt mittlerweile vor, und am Donnerstagnachmittag diskutierten die Gipfelteilnehmer eben über die Ideen von Letta, deren Hauptbotschaft De Croo am Donnerstag in der Kammer mit den Worten zusammenfasste: "Die zentrale Botschaft ist, dass wir als Europäer dafür sorgen müssen, dass wir auf unseren eigenen Beinen stehen können".
Auf eigenen Beinen stehen bedeutet für Letta vor allem, den europäischen Binnenmarkt weiter auszubauen. Eine Idee, die De Croo zu gefallen scheint. Am Donnerstag in der Kammer zumindest stellte er diese Idee als äußerst sinnvoll dar. "Unser eigener Binnenmarkt ist die Quelle unseres Wohlstands hier in Europa", sagte De Croo. "Wenn wir heute 27 Länder sind, denen es allen gut geht, wo Menschen, die arbeiten ein gutes Auskommen haben können und wir einer der innovativsten Kontinente sind, dann ist das der Tatsache geschuldet, dass wir einen Binnenmarkt haben, der funktioniert."
Spar- und Investitionsunion
Den Binnenmarkt zu vertiefen, das soll vor allem in vier Bereichen passieren: nämlich in den Bereichen Verteidigung, Energie, Digitales und Kapital.
Letzteres, also eine Spar- und Investitionsunion, wie De Croo es nannte, solle vor allem zum Ziel haben, dass das Geld reicher Europäer "nicht in die Vereinigten Staaten fließt", erklärte De Croo. Mit europäischem Geld würden in den USA Investmentfonds finanziert, die mit diesem Geld innovative europäische Unternehmen aufkaufen.
Dank einer europäischen Spar- und Investitionsunion soll das Geld in Europa bleiben, um hier zum Beispiel "die grüne Wende zu finanzieren und dafür zu sorgen, dass Innovation hier stattfindet und hier von unseren Bürgern genutzt werden kann", sagte De Croo.
Die Ideen von Letta scheinen nicht nur De Croo überzeugt zu haben. Die Gipfelteilnehmer verständigten sich am Donnerstag darauf, dass an diesen Vorschlägen weiter gearbeitet werden soll. Die EU-Kommission, die im Herbst neu gebildet wird, soll sich um die Ausarbeitung konkreter Vorschläge kümmern.
Dann wird Belgien die EU-Ratspräsidentschaft an Ungarn übergeben haben. Die Ungarn hätten dann auch schon versichert, das gemeinsame Vorhaben von Spanien, Belgien und dem eigenen Land auf jeden Fall weiter zu führen.
Das zeige, sagte De Croo in Bezug auf Ungarn und Ungarns umstrittenen Ministerpräsidenten Victor Orban, "dass die Zusammenarbeit mit Ländern, mit denen man sonst nicht unbedingt die gleichen Vorstellungen teilt, durchaus zu guten Ergebnissen führen kann in Europa".
Kay Wagner