Wie lange sich die Misshandlungen hingezogen haben, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch unklar beziehungsweise ist aus ermittlungstechnischen Gründen noch nicht mitgeteilt worden. Es soll aber um Monate oder sogar Jahre gehen. Auch, was die Anzahl der Vorfälle oder spezifische Details angeht, hält sich die Landesverteidigung bedeckt.
Es habe sich um erniedrigendes und entwürdigendes Verhalten im 4. Pionierbataillon in Amay gehandelt, so Verteidigungsministerin Ludivine Dedonder bei der RTBF und der VRT. Während sogenannten "Bizutage"- oder "Ontgroenings"ritualen sei es zu Körperverletzungen, Bedrohungen, Druck und Erpressungen gekommen. Bei den Vorfällen, die sich sowohl inner- als auch außerhalb der Dienstzeit ereignet haben sollen, soll auch Alkohol im Spiel gewesen sein.
Entgegen Medienberichten, die vorab über den Skandal berichtet hatten, soll es aber nicht zu Fällen von sexuellem Missbrauch gekommen sein, betont die Landesverteidigung. Auch Fälle von angeblichem Rassismus sind am Donnerstag nicht bestätigt worden.
Eiserne Schweigepflicht gegenüber Außenstehenden
Sowohl Armeechef Admiral Michel Hofman als auch Generalinspekteur Vize-Admiral Jan de Beurme sprechen außerdem von einer regelrechten "Omertá", einer eisernen Schweigepflicht gegenüber Außenstehenden, wie man sie von der italienischen Mafia kennt. Deswegen sei das grenzüberschreitende Verhalten auch so lange unentdeckt geblieben, so de Beurme.
Ans Licht gekommen ist die Affäre erst Ende letzten Jahres, bestätigt die Verteidigungsministerin. Sie habe im November 2023 eine E-Mail von einem Familienangehörigen eines Opfers bekommen. Daraufhin habe sie umgehend Armeechef und Generalinspekteur mit einer internen Untersuchung der Vorwürfe beauftragt. Außerdem habe sie die Armee angewiesen, die Justiz einzuschalten. Seitdem laufen die Ermittlungen von Armee und wie gesagt eben auch Staatsanwaltschaft. Verantwortlich für das strafrechtliche Dossier ist vor allem die Lütticher Staatsanwaltschaft. Aber auch die föderale Staatsanwaltschaft ist involviert, weil sich einige der Misshandlungsfälle im Ausland abgespielt haben sollen.
Es sei ein besonders komplexes Dossier, so sinngemäß der Generalinspekteur, denn alle Ränge seien betroffen, von jungen Rekruten über Unteroffiziere bis hin zu Offizieren. Hinzu komme, dass manche der Betroffenen gleichzeitig Täter, Opfer und Zeugen seien. Welche personellen Folgen die Vorfälle haben könnten, bleibt abzuwarten, weil die Ermittlungen noch andauern. Aber die Armee hat bereits erste Konsequenzen gezogen und einzelne Personen suspendiert beziehungsweise versetzt.
Betroffener Zug des Bataillons sei aufgelöst
Weil es sich offensichtlich um weitreichendes, systematisches und organisiertes Fehlverhalten gehandelt hat, hat sich die Armee auch zu einem weiteren drastischen Schritt genötigt gesehen: Der betroffene Zug des Bataillons sei aufgelöst worden, bestätigt Admiral Hofman. Diese strukturelle Maßnahme sei schwerwiegend und wahrscheinlich einzigartig in der jüngeren Geschichte der belgischen Streitkräfte. Aber hier sei eine rote Linie von gewissen Personen weit überschritten worden. Dass es zu solchen Vorfällen habe kommen können, zeige einen Werte- und Normenverfall bei der Landesverteidigung, so Hofman.
Die Landesverteidigung gelobt, hart gegen ähnliche Fälle und Traditionen in ihren Reihen vorzugehen: Solche Initiationsrituale seien schlicht und ergreifend verboten, unterstreicht der Generalinspekteur. Entsprechend müsse die Praxis ausgerottet werden. Diese Art von Verhalten werde niemals toleriert werden, betont auch die Ministerin, und werde sehr streng geahndet werden. Wer das nicht akzeptieren wolle, müsse seinen Hut nehmen.
Boris Schmidt