"Geld gewinnt immer in Belgien". Nathan Vandergunst steht noch unter dem Eindruck des Gerichtsurteils, das er gerade über sich ergehen lassen musste. Er hat verloren. "Drei Monate Haft auf Bewährung hab' ich bekommen", sagt der junge Mann sichtbar angeschlagen in ein VRT-Mikro. "Ich werd' die wohl nicht absitzen müssen, aber es bleibt doch eine Gefängnisstrafe." Außerdem wird der 24-Jährige zu einer Schadensersatzzahlung von 20.000 Euro verurteilt.
Das Urteil erging an Nathan Vandergunst. Aber die Tat, für die er verurteilt wurde, die beging er unter einem anderen Namen, nämlich unter seinem Pseudonym Acid. Acid spricht sich übrigens selbst "Ecid" aus, also eigentlich falsch. Aber, wie dem auch sei: Als Acid ist er jedenfalls bei Youtube bekannt. Rund 600.000 Nutzer haben seinen Kanal abonniert. Acid ist unter jungen Flamen ein Star.
Kurz nach dem Reuzegom-Urteil hatte er seinen Kanal genutzt, um seinen Ärger über den Richterspruch zum Ausdruck zu bringen. Ganz kurz gerafft: Die Rede ist von der tragischen Studententaufe, bei der 2018 der damals 20-jährige Sanda Dia ums Leben kam. Organisiert hatte besagtes Ritual die Studentenverbindung Reuzegom. Im Zusammenhang mit dem Tod von Sanda Dia mussten sich 18 Mitglieder des Clubs vor Gericht verantworten. Ende Mai vergangenen Jahres erging das Urteil. Und allesamt kamen die Angeklagten mit einem blauen Auge davon: Im schlimmsten Fall wurden sie zu Arbeitsstrafen verurteilt.
Vorwurf der Klassenjustiz
Das Urteil sorgt bis heute für angeregte Diskussionen. So mancher empfindet es als zu milde. Im Raum steht der Vorwurf der Klassenjustiz, weil die Mitglieder besagter Studentenverbindung allesamt aus reichen Elternhäusern kommen. Zu den Kritikern gehörte auch Youtuber Acid. Auf seinem Kanal machte er seinem Ärger Luft und griff dabei zu einem drastischen Mittel: Er machte die Namen einiger Reuzegom-Mitglieder öffentlich. "400 Euro Geldstrafe und 300 Arbeitsstunden, das ist zu wenig", begründete er in dem Video seinen Schritt. "Deswegen werden wir sie 'canceln'", tönt Acid. "Denn diese Leute können mit einer solchen Geschichte davonkommen, ohne dass die Medien ihre Namen veröffentlichen."
Acid stellt also einige Mitglieder der Studentenverbindung an seinen Online-Pranger. Das allein ist schon - rechtlich betrachtet - dünnes Eis. Hinzu kommt aber, dass einer von den Leuten, die Acid namentlich nennt, gar nichts mit der tragischen Taufe zu tun hatte. Er war nicht dabei, stand auch nicht vor Gericht. Und doch bekam auch dieser Unschuldige den Volkszorn zu spüren. Das ging so weit, dass seine Eltern ihr Antwerpener Restaurant kurzzeitig schließen mussten. Und das war auch einer der Gründe, warum sich Acid vor der Justiz verantworten musste.
Als es auf einen Schuldspruch hinauslief, stellte das Gericht eine Arbeitsstrafe in Aussicht. Die Verteidigung lehnte das Angebot aber ab. "Und wisst ihr, warum?", wandte sich Acid noch am selben Abend an seine Fangemeinde. "Ich würde noch lieber freiwillig die Straße putzen nach den Gentse Feesten, als die gleiche Strafe zu kriegen wie die Reuzegom-Mitglieder."
"Und hinzu kommt: Ich habe nichts getan", betont Acid. Und sein Anwalt ist auch davon überzeugt: Hier gehe es ganz klar um das Recht auf freie Meinungsäußerung. "Und wir werden Berufung einlegen", sagt Walter Van Steenbrugge. "Mal sehen, wer am Ende recht behält."
Crowdfunding-Kampagne
Eins hat Acid jedenfalls geschafft: Man redet wieder über das Reuzegom-Urteil. Und auch über den Vorwurf der Klassenjustiz, den er ja auch bekräftigt mit seinem Sätzchen "Geld gewinnt immer".
Angestoßen hat der Fall aber auch eine neue Debatte über die Grenzen der Meinungsfreiheit, die nunmal auch im Netz gelten. Acid muss sich jedenfalls in Leitartikeln den Vorwurf anhören, dass er sich wohl in seiner Internet-Blase fälschlicherweise für einen Halbgott gehalten haben muss.
Er selbst gibt sich in jedem Fall kämpferisch, andere würden wohl sagen "uneinsichtig". "Ich werde weiter machen", sagte er in der VRT. "Die kriegen mich nicht klein!"
Nach seiner Verurteilung am Donnerstag startet Acid ein Crowdfunding, um den Schadenersatz zahlen zu können. Damit hat er bereits mehr als 100.000 Euro eingesammelt.
Roger Pint
Da ist ein junger Internet-Gott aus allen Wolken auf die bittere Realität der Erde gefallen. Das ist gut so.
Man darf ein Gerichtsurteil kommentieren, nur öffentlich Namen nennen sollte man nicht. Das ist keine sachdienliche Information, die man zur Meinungsbildung braucht.
Die Frage ist nur wessen Realität. Hier wird klug daher geredet, das trifft die Sache des jungen Mannes aber nicht auf den Punkt.
Beschämend der Ablauf.