Brüssel, irgendwann Ende April / Anfang Mai 2023: Francesco Giorgi ist in seiner Wohnung, als es plötzlich an seiner Tür klingelt. Ein Polizeiinspektor wird vorstellig. Er will dem Mann offenbar sein Handy zurückgeben, das einige Tage zuvor bei einer Hausdurchsuchung beschlagnahmt worden war. Nur hatte Francesco Giorgi - nachdem er gesehen hatte, wer da vor der Türe stand - noch schnell ein Aufnahmegerät gestartet. Das ganze Gespräch wird mitgeschnitten. Das ist - wohlgemerkt - die Version von Francesco Giorgi. So erklärt er die Existenz des doch explosiven Tondokuments.
Dieser Francesco Giorgi ist nicht irgendwer. Erst ein paar Wochen zuvor war er unter Auflagen aus der U-Haft entlassen worden. Zum fraglichen Zeitpunkt trägt er eine elektronische Fußfessel. Denn er ist immerhin einer der Hauptverdächtigen im sogenannten Katargate-Skandal. Hier geht es um den Verdacht, dass einige Staaten versucht haben sollen, über Schmiergelder Einfluss auf das EU-Parlament zu nehmen. Zuallererst wird hier meist das Emirat Katar genannt.
Giorgi soll in seiner Eigenschaft als parlamentarischer Mitarbeiter Bestechungsgeld kassiert haben. Im Fokus steht er aber auch und vor allem wegen seiner damaligen Lebensgefährtin. Das war keine Geringere als die griechische Abgeordnete Eva Kaili, zum fraglichen Zeitpunkt immerhin die Vizepräsidentin des EU-Parlaments. In der gemeinsamen Wohnung der beiden war buchstäblich säckeweise Bargeld beschlagnahmt worden. Kaili selbst hat ebenfalls eine Zeitlang in U-Haft gesessen.
Pier Antonio Panzeri im Fokus
Zurück zu Francesco Giorgi: Der nimmt sein Gespräch mit dem Polizeiinspektor auf. Der Mitschnitt ist jetzt in der Redaktion der Brüsseler Tageszeitung La Libre Belgique gelandet, auch die RTBF hat sich die Aufnahme anhören können. Und dieses Tondokument hat es in sich: Erst hört man Francesco Giorgi, wie er sich bei dem Polizisten über die Hausdurchsuchung beschwert, die am 27. April in seiner Wohnung durchgeführt worden war. Dann kommen beide auf Pier Antonio Panzeri zu sprechen.
Dieser Panzeri gilt als die eigentliche Schlüsselfigur im Katargate-Skandal. Er soll die Spinne im Netz gewesen sein, er soll das Schmiergeld verteilt haben, als Dank für geleistete Dienste - also wenn jemand im Parlament zum Beispiel für den Auftraggeber-Staat geworben hatte. Das macht Panzeri für die Ermittler natürlich besonders interessant. Das wusste er auch selbst und er hat es geschafft, eine Kronzeugenregelung für sich herauszuholen. Der Deal: Er liefert Informationen, dafür wird ihm Strafmilderung in Aussicht gestellt.
Um diesen Panzeri geht es also irgendwann in dem Gespräch zwischen Giorgi und dem Polizeiinspektor. "Ihr Kronzeuge lügt", sagt Giorgi. "Wir wissen, dass er lügt", antwortet der Ermittler überraschend offenherzig. "Wir haben ihm bislang keine Fragen gestellt, haben ihn reden lassen - nach dem Motto 'Du erzählst uns alles, und vor allem erzählst du uns Sachen, die wir noch nicht wissen'. Und was macht der Typ? Er lügt uns an!" Beim Lügen haben die Ermittler Panzeri unter anderem deswegen ertappt, weil sie ihm einige Informationen vorenthalten haben.
Es ist so: Der Mann hat Zugang zu den Ermittlungsakten - im Prinzip weiß er, was die Ermittler wissen. Deswegen hat man dafür gesorgt, dass gewisse Informationen oder Erkenntnisse eben erst mal nicht in den Akten auftauchen. Dass Panzeri sich bei seinen Aussagen auf die Akten stützt, hatten die Ermittler schnell bemerkt. "Ein Beispiel: Bei seiner ersten Anhörung hat Panzeri den belgischen EU-Abgeordneten Marc Tarabella mit keinem Wort erwähnt. In der Zwischenzeit bekommt er Akteneinsicht und sieht, dass wir Tarabella verhört haben. Deswegen platziert er dann bei seiner zweiten Anhörung den Namen Tarabella, bleibt dabei aber unvollständig und unterschlägt Informationen."
"Glauben Panzeri kein Wort"
Und dann, als wolle er jegliches Missverständnis ein für allemal ausschließen, redet der Polizeibeamte nochmal Klartext. "Wir glauben Panzeri kein Wort. Wir wissen, dass er uns zu manipulieren versucht. Deswegen kann er auch seinen Sonderstatus als Kronzeuge vergessen", ist der Ermittler überzeugt. "'Das Ganze wird Panzeri um die Ohren fliegen." Denn: Grundbedingung bei einer Kronzeugenregelung ist es, dass der Betreffende natürlich die Wahrheit sagt. Heißt also: Auf der Grundlage der Aussagen auf dem Mitschnitt hätten die Ermittler ihren angeblichen Kronzeugen längst zum Mond schießen müssen. Vor allem deswegen sind die Aussagen denn auch so brisant. Denn: Die Verteidigung kann jetzt die Ermittlungen insgesamt anfechten.
Die Föderale Staatsanwaltschaft reagierte dennoch demonstrativ gelassen auf die neue Entwicklung. Auch andernorts hört man, dass es nicht unüblich sei, dass ein Ermittler im Gespräch mit einem Verdächtigen die Unwahrheit sagt, um an die Wahrheit zu gelangen. Die Einzelmeinung eines Polizisten sei letztlich ohnehin nicht relevant, sondern nur die Einschätzung des leitenden Untersuchungsrichters.
Roger Pint
Das niemand staunt das diese Sache im Sande verlaufen wird...mal wieder...
Alles wird "vorbereitet" damit bestimmte Politiker ihre "fragwürdige Praktiken" weiterhin, ungestraft weiterführen dürfen...