"Man könnte meinen, hier gehe es um Horrorgeschichten aus den 1940er Jahren. Aber nein! Wir sprechen hier von den 80er Jahren". Mit bebender Stimme stellt die N-VA-Abgeordnete Yngvild Ingels in der Kammer ihre Frage an den föderalen Justizminister Paul Van Tigchelt. Die 44-Jährige hat am Morgen die Zeitung gelesen. Het Laatste Nieuws, um genau zu sein. Und dort steht - zumindest in groben Zügen - ein Teil ihrer Lebensgeschichte.
"30.000 Kinder wurden durch die Kirche verkauft", prangt in fetten Buchstaben auf Seite eins. Der Sachverhalt an sich ist nicht neu, noch im vergangenen Jahr hat die Kammer sogar schon eine Resolution zu dem Thema verabschiedet. Aber jetzt reden die Opfer in Het Laatste Nieuws. Und da blickt man in schreckliche Abgründe.
Da ist zum Beispiel die Geschichte von Cyrilla. Sie war 23 Jahre alt, unverheiratet, und sie wurde schwanger. Sie suchte Hilfe in einer kirchlichen Einrichtung. "Und was hat sie gefunden?", fragt Yngvild Ingels empört. "Ein katholisches Institut, das man als eine Babyfabrik bezeichnen muss. Dort wurde Cyrilla gegen ihren Willen festgehalten. Ihre Tochter wurde ihr weggenommen und zur Adoption freigegeben. Schlimmer noch: Cyrilla wurde bei der Gelegenheit auch noch sterilisiert."
Da muss man erstmal innehalten. Und das ist nur eine der vielen wirklich unfassbaren Zeugenaussagen, die Het Laatste Nieuws gesammelt hat. Der Rote Faden: Schwangere unverheiratete Frauen wurden in Einrichtungen der katholischen Kirche gebracht, wo sie von den Nonnen meist gedemütigt wurden, in manchen Instituten wurden sie auch sexuell missbraucht.
Oft mussten sie ihr Kind gebären mit einem Laken auf dem Kopf oder einer Maske auf den Augen. Kaum war das Baby auf der Welt, da wurde es von der Mutter getrennt. Die Kinder wurden dann zur Adoption freigegeben, viele von ihnen wurden für viel Geld an Adoptiveltern verkauft: für 10.000 bis 30.000 belgische Franken. In den meisten Fällen wurden sämtliche Papiere, die das Ganze hätten dokumentieren können, vernichtet. Was natürlich verhindert, dass Mutter und Kind sich jemals kennenlernen können.
Yngvild Ingels ist in genau diesem Fall. Offiziell wurde sie am 1. Januar 1979 im französischen Dünkirchen geboren und dann über die Grenze nach Belgien geschmuggelt. Vier Tage später, am 5. Januar 1979, wurde sie von ihren Adoptiveltern zum ersten Mal in die Arme geschlossen. Bezahlt wurden 6.500 Franken - es gibt noch den entsprechenden Beleg. "Ob ich tatsächlich am 1. Januar geboren bin, ich weiß es nicht", sagt Yngvild Ingels in Het Laatste Nieuws.
Wer ihre leiblichen Eltern sind, weiß sie auch nicht. Seit vielen Jahren setzt sie alles daran, sie zu finden. Deswegen denn auch die Frage an Justizminister Paul Van Tigchelt: Es gibt die Resolution von 2022, darin wird gefordert, dass alles darangesetzt wird, um z.B. die noch bestehenden Dokumente zu sichern oder auch Opfer ausfindig zu machen - "Herr Minister: Wann passiert das endlich? Ich weiß nicht, wie alt meine leibliche Mutter war, aber ich bin inzwischen über 40. Bald ist es zu spät!"
Der neue Justizminister Paul Van Tigchelt redete nicht lange um den heißen Brei herum. Er sprach von "unfassbarem Leid, das verursacht wurde durch gewisse grausame Praktiken in der katholischen Kirche". Und bis heute müssten viele Menschen mit den Traumata leben. In erster Linie müsse man die Opfer als solche anerkennen. "Sie wollen die Wahrheit erfahren, wollen wissen, was passiert ist und wer dafür verantwortlich war. Und deswegen muss das gründlich untersucht werden", sagte Paul Van Tigchelt.
Genau dafür hatten die belgischen Bischöfe in einer schriftlichen Stellungnahme auch schon plädiert: eine unabhängige Untersuchung. Und sie erneuerten bei der Gelegenheit auch ihre Bitte um Verzeihung, die sie in diesem Zusammenhang auch schon 2015 im flämischen Parlament ausgesprochen hatten.
In ihrer Replik wurde Yngvild Ingels dann aber sehr emotional. Sie wisse zwar nicht, wer ihre leibliche Mutter sei, aber eins würde sie ihr gerne sagen: "Mir geht es gut! Ich bin in einer netten Familie, in einem warmen Nest gelandet. Meine Adoptiveltern sind fantastisch. Und ich hoffe, dass ich das meiner leiblichen Mutter eines Tages persönlich sagen kann." Die Abgeordneten erhoben sich daraufhin geschlossen zu einer stehenden Ovation.
Roger Pint
Warum wundern einen solche Meldungen im Zusammenhang mit der katholischen Kirche eigentlich nicht mehr? Antworten darauf findet man u.a. bei Karl-Heinz Deschner: Die Kriminalgeschichte des Christentums.
Ich habe schon lange den Glauben an die Institution Kirche verloren, weil Sie von oben herab stinkt. Der Papst ist doch nur eine Marionette !
Das bedeutet aber nicht, dass dies etwas mit dem katholischen Glauben und vielen Gläubigen und Priestern zu tun hat, der tagtäglich präsent ist!
Ausgerechnet Flämische Rechtsextremisten dieses selbsternannten "N-VA" mit ihren typisch Finsteren Gesichtern hetzen wieder gegen alles Christliche und, wer weiß wann als nächster wieder gegen die Juden im Lande was läuft von solchen wie denen. Und Karneval von Aalst ["Juden-ins-Gas"-Wagen] kann schnell überall sein.
Übrigens sind komischerweise aber dann doch Kirchen bei Flamen und Wallonen prall gefüllt mit der riesigen Event-Szene am Sonntag en-vogue wie nie. Ausgerechnet wo jeder weiß dass die Mehrheit der EU explizit Atheistisch-Nationalistisch lebt und Kirchenkader zwischen EU und Russland krampfhaft versuchen, ihr theokratisches Fähnchen politisch stets immer so auszurichten wie sich grade der dunkel gefärbte Wind ihres Landes weht vom Ungeist dieser Zeit.
Fazit von mir - Wer im Glashaus sitzt sollte absolut nicht mit Steinen werfen.
Hallo Markus,
Auch zur Frage des katholischen Glaubens gibt es ein interessantes Buch von Karl-Heinz Deschner: „Der gefälschte Glaube“.
Deschner (zweifellos der führende deutschsprachige Kirchenkritiker des 20. Jh) zeigt auf, dass alle wichtigen Glaubensinhalte des Christentums, Lehraussagen und religiösen Rituale - das urchristliche Dogma vom nahen Weltenende, die Vergottung Jesu, die Verkündugung des Paulus, Trinität, Taufe, Abendmahl, Beichte, Buße, und vieles mehr - entlehnt worden sind. Sie stammen aus Judentum, altorientalischen Vorstellungen, aus dem Hellenismus, und anderem antiken Gedankengut. Genau diese Quellen, aus denen die christliche Religion geschöpft hat, wurden später von der Kirche zu heidnischem Teufelswerk erklärt und lange Zeit vergessen. Dass dieses zusammengeklaubte Sammelsurium religiöser Anschauungen 2000 Jahre überdauern und eine ganze Kultur prägen konnte, ist das wirkliche Mysterium des Christentum.“
Zu den 245 (!) kirchlichen Dogmen, also verbindliche und unverrückbare kirchliche Glaubenswahrheiten, schrieb Walter Gerhardt ein Buch mit dem Titel: „An ihren 245 Dogmen krankt und stirbt die katholische Kirche“