"Es ist eine Tatsache, dass die Weihnachtszeit für uns eine sehr, sehr große Herausforderung darstellt." Michel Goovaerts, der Chef der Polizeizone Brüssel-Hauptstadt-Ixelles ist besorgt, da machte er in der VRT keinen Hehl draus. Der Vorfall am vergangenen Mittwochabend war eine Warnung, die deutlicher nicht sein konnte. Gegen 19:30 Uhr hatte ja ein Mann auf der Shoppingmeile an der Porte de Namur das Feuer eröffnet und vier Menschen verletzt. "Einen terroristischen Hintergrund schließe man aus", hieß es noch am selben Abend von den Polizei- und Justizbehörden. Doch macht das wirklich einen großen Unterschied? Ändert das für die Opfer und Augenzeugen irgendwas, wenn sie erfahren, dass die Kugeln, die ihnen um die Ohren geflogen sind, nicht von einem Terroristen abgefeuert wurden, sondern dass sie "nur" in einem Krieg unter Drogenbanden zwischen die Fronten geraten sind?
Das Phänomen hat inzwischen beängstigende Ausmaße angenommen, räumt auch Korpschef Michel Goovaerts ein. Früher war es noch so, dass sich Abrechnungen im Milieu in den meisten Fällen auf Hinterhöfe oder dergleichen beschränkten. "Jetzt stellen wir fest, dass einige keine Hemmungen mehr haben, auch im öffentlichen Raum um sich zu schießen. Und, ja, das ist beunruhigend", sagt Goovaerts. Aber er könne garantieren, dass die Polizei- und auch die Justizbehörden alles tun, um solche Vorfälle zu unterbinden.
Die nackten Zahlen sind dennoch regelrecht erschreckend. "In diesem Jahr haben wir rund 90 Schießereien gezählt; im vergangenen Jahr waren es 80", sagt Michel Goovaerts. Naja, 90, das ist natürlich nicht nichts. Deswegen investieren wir ja auch mehr. Und deswegen haben wir auch unsere Anti-Drogenstrategie in Kraft gesetzt.
Zunehmend öffentliche, um nicht zu sagen dreiste Abrechnungen im Milieu, das ist in Normalzeiten ja schon ein Problem. Geschweige denn jetzt, wo doch die Feiertage vor der Türe stehen.
Die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson hatte am vergangenen Dienstag doch ziemlich Klartext geredet. "Vor dem Hintergrund des Nahost-Krieges und der damit verbundenen extremen Polarisierung innerhalb unserer Gesellschaften, und dann auch mit Blick auf die anstehenden Feiertage, ist die Gefahr terroristischer Anschläge in der EU enorm hoch", sagte die EU-Kommissarin vor Beginn eines Treffens der EU-Innenminister. Den Satz hat sie später nicht mehr wiederholt, aber im Raum steht er dafür trotzdem.
In Belgien gilt ja schon Terrorwarnstufe drei - drei auf einer Skala bis vier. Nach dem terroristischen Mord an zwei schwedischen Fußballfans am 16. Oktober hatte man ja die Gefahrenlage neu bewertet und dann auch hochgestuft. Niveau drei, das bedeutet ja schon, dass die Sicherheitsdienste in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt werden. Für weihnachtliche Aktivitäten wie die "Winterfreuden" rund um die Grand'Place oder auch andere Weihnachtsmärkte gilt aber "nur" Terrorwarnstufe zwei.
Innenministerin Annelies Verlinden hatte am Donnerstag im Parlament schon dargelegt, warum das so ist. Kurz und knapp: Es gebe keinerlei Hinweise auf eine konkrete Bedrohung weihnachtlicher Aktivitäten. Entsprechend wolle man den jeweiligen Polizeizonen einen Ermessensspielraum geben. Die lokalen Behörden hätten auf der Grundlage ihrer eigenen Risikoanalyse die Möglichkeit, ihre Sicherheitsmaßnahmen entsprechend zu verschärfen.
In der Praxis geschieht das oft schon automatisch. Wie die Zeitung Het Laatste Nieuws berichtet, hätten etwa die Polizeibehörden in Gent sich im vergangenen Jahr schon genauso organisiert, als wäre Terrorwarnstufe drei in Kraft gewesen. Michel Goovaerts, der Chef der Zone Brüssel-Ixelles, bestätigt das: "Wir setzen zusätzliche Kapazitäten ein, um die vorweihnachtlichen Aktivitäten und auch das Feuerwerk zum Jahreswechsel noch besser schützen zu können. Wir tun alles, wirklich alles, um die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten".
Roger Pint