"Ja, Sie sehen richtig: Die Bestie ist zurück!". "Sie sehen richtig", das muss der Hauptdarsteller tatsächlich den Zuschauern versichern, denn er ist "eigentlich" schon seit fast zehn Jahren tot. Wer hier redet, ist kein geringerer als der CD&V-Altpremier Jean-Luc Dehaene.
Dehaene war zwischen 1992 und 1999 föderaler Regierungschef. Er gilt als der Architekt der Vierten Staatsreform und als derjenige, der es mit seinem "Globalplan" möglich gemacht hat, dass Belgien - zusammen mit allen anderen - den Euro einführen konnte. Einer der ganz Großen also. So groß, dass sich seine Partei, die CD&V, eigentlich gerne mit Dehaenes Federn schmücken würde. Nur ist er nicht mehr unter uns: Der Lebemann aus Brügge starb 2014 im Alter von 73 Jahren an den Folgen einer Krebserkrankung.
Jetzt ist die "Bestie" doch nochmal zurück - für die Dauer eines 30-sekündigen Clips. Zum Leben erweckt wurde er durch Künstliche Intelligenz. Die kann Dehaene Dinge sagen lassen, die er tatsächlich nie sagen konnte: "Unser Land wird 2024 vor enormen Herausforderungen stehen, aber das war zu meiner Zeit auch so":
Täuschend echt - aber etwas Unnatürliches
Das Ganze ist täuschend echt: Die Lippen bewegen sich synchron zu den Worten dieses KI-Dehaenes. Nur, wer wirklich genau hinschaut, mag etwas Unnatürliches zu erkennen glauben. Dehaene verweist auf die Herausforderungen, die er vor knapp 25 Jahren zu meistern hatte. Dann wird er präziser. "Der Euro, die Staatsreform, all das waren natürlich keine Kinkerlitzchen. Aber damals haben wir Lösungen gefunden. Nicht mit halbem Kram, sondern indem wir getan haben, was getan werden musste. Und manchmal auch mit ein wenig Dickköpfigkeit. Nur geschah das alles immer aus tiefem Respekt vor dem Wähler." "Respekt", genau darum geht es in dem Clip. "Respekt hat damals funktioniert und das kann auch heute noch gelten. Weil Respekt eben funktioniert."
Nur scheint eben diese Respekt-Botschaft irgendwie nicht ganz zu dem Filmchen zu passen. "Ist das wirklich ein Zeichen von Respekt, wenn man einen Mann künstlich von den Toten auferstehen lässt, um Parteipropaganda zu machen?". Diese Frage liest man seit der Veröffentlichung des Clips am Mittwochabend häufiger in Sozialen Netzwerken. Die CD&V betont aber in diesem Zusammenhang, dass man "natürlich" die Familie von Jean-Luc Dehaene um Erlaubnis gebeten habe.
Das bestätigte auch Tom Dehaene, Sohn des Altpremiers, in der VRT. Die Familie sei in die Produktion tatsächlich eingebunden gewesen. Im Übrigen könne man auch sehen, dass die Körpersprache eine andere sei als die seines Vaters. Das Ganze sei zwar toll gemacht, aber zugleich könne man doch erkennen, dass dieser Film mithilfe einer KI erstellt wurde - das sei ihm und seiner Familie sehr wichtig gewesen.
Denkmal setzen
Die CD&V wollte ihrerseits ihrer früheren Gallionsfigur nochmal ein Denkmal setzen - und damit auch ein bisschen sich selbst. Die Partei wolle auf diese Weise auf spielerische Weise anknüpfen an die historischen Errungenschaften der CD&V, heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme. In den letzten Jahrzehnten sei die CD&V immer ein Wohlstandsmotor für das Land gewesen. Das sei verbunden gewesen mit wichtigen Reformen auf allen Ebenen. Jean-Luc Dehaene stehe beispielhaft dafür: Er habe getan, was er tun musste, eben aus Respekt vor dem Steuerzahler.
Dennoch: Jean-Luc Dehaene virtuell wiederzubeleben und ihm einfach ein paar Sätze in den Mund zu legen, von denen man nicht weiß, ob er sie unterschrieben hätte, kommt längst nicht überall gut an. Kritiker stellen sich zynisch die Frage, wer denn wohl als nächster virtuell ausgebuddelt werden soll. Davon abgesehen, dass die CD&V mit diesem Coup quasi zugebe, dass unter ihren lebenden Mitgliedern niemand ist, der die Kragenweite eines Jean-Luc Dehaene hätte. Auf den ersten Blick ist es denn auch eher unwahrscheinlich, dass dieses Beispiel Schule machen wird.
Roger Pint