Der Brüsseler Appellationshof verlangt, dass Föderalstaat, die Region Brüssel-Hauptstadt und Flandern ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent senken. Dieses Urteil ist bei den jeweiligen Verantwortlichen denkbar unterschiedlich aufgenommen worden. Und das hat natürlich alles mit der Parteizugehörigkeit zu tun.
Auf föderaler Ebene und in Brüssel sind mit Zakia Khattabi und Alain Maron die Grünen zuständig für die Umwelt- und Klimapolitik. Wenig überraschend haben sie positiv auf den Richterspruch reagiert und wollen ihn als Anlass nehmen, um den Kampf gegen den Klimawandel in Belgien noch weiter zu verstärken. Auch die föderale grüne Energieministerin Tinne Van der Straeten will sich nicht gegen das Urteil wehren, im Gegenteil, sie befürwortet alles, was die Energiewende beschleunigen könnte.
Ganz anders sieht es hingegen im Norden aus, wo ja auch das Umweltministerium in den Händen der N-VA ist. Die ist nicht nur auf föderaler Ebene in der Opposition und kann so gar nicht mit den Grünen. Die N-VA befindet sich in Flandern auch im ständigen Abwehrkampf gegen den rechtsextremen Vlaams Belang – der jedes ökologische Zugeständnis auf Kosten der flämischen Wirtschaft oder Landwirtschaft als Steilvorlage nutzen würde. Deswegen waren schon die Verhandlungen mit der N-VA über den nationalen Klimaplan mehr als zäh. Und deswegen fallen die Reaktionen in Flandern auch besonders heftig aus auf das Urteil von Donnerstag aus Brüssel. Die flämische Umweltministerin Zuhal Demir hat deswegen Freitagmorgen auch bestätigt, vor den Kassationshof ziehen zu wollen.
Zuhal Demir nicht in Dubai
Demir ist trotz ihrer Portfolios als Energie- und Klimaministerin auch nicht zur Klimakonferenz der Vereinten Nationen in Dubai gereist – im Gegensatz zu Premierminister Alexander De Croo. Der reagiert im Interview mit der VRT vorsichtig auf die Gerichtsentscheidung: Man müsse das Urteil erst gut studieren, so De Croo. Die Reduzierung des Ausstoßes an Treibhausgasen um 55 Prozent, von der im Urteil die Rede sei, das sei das Klimaziel für Europa als Ganzes, stellt er klar. Die Mitgliedsstaaten hätten sich untereinander abgesprochen, wer wie viel tun müsse, um dieses kollektive Ziel zu erreichen.
Bei dieser Verteilung sei differenziert worden, weil Länder eben auch unterschiedlich seien. Belgien sei etwa schon aufgrund seiner geografischen Beschaffenheit weniger in der Lage, auf erneuerbare Energiequellen zu setzen als andere Länder. Außerdem sei das Land hochindustrialisiert, auch das mache die Energie- und Klimawende schwieriger. Deswegen sei, auf europäischer Ebene wohlgemerkt, auch festgelegt worden, dass Belgien den Ausstoß um 47, nicht um 55 Prozent reduzieren müsse.
De Croo: "Was beschlossen ist, wird ausgeführt"
De Croo will auch nichts davon wissen, dass die Föderalregierung ihren Verpflichtungen nicht nachkommt – was beschlossen worden sei, werde auch ausgeführt. Das Klimaziel sei für 2030 und gerade befinde sich Belgien in dieser Hinsicht in einer enormen Beschleunigungsphase. Diese Beschleunigung sei gemeinsam organisiert worden, sprich mit den verschiedenen Regierungen.
Über das ganze Land verteilt gebe es hunderte Projekte, die dabei helfen würden, bis 2030 das Ziel von 47 Prozent für Belgien zu schaffen. Auf die vom Brüsseler Gericht für die drei bemängelten Ebenen vorgegebenen 55 Prozent geht De Croo hierbei explizit nicht ein. Nur so viel will er dazu sagen: Am Klimaziel von 47 Prozent für Gesamtbelgien bestehe kein Zweifel. Wie die dafür notwendigen Anstrengungen intern verteilt würden, darüber müsse politisch debattiert werden.
Die Reduzierung des Treibhausgasausstoßes müsse in jedem Fall Schritt für Schritt erfolgen, das tue Belgien. Wichtig sei aber auch, dass dies nicht auf Kosten der Wirtschaft geschehe, unterstreicht De Croo, man dürfe nicht das eine gegen das andere stellen.
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Boris Schmidt