"Eine besoffene Nacht mit Folgen" - so oder so ähnlich könnte der Titel der Geschichte lauten, die vom vorläufigen Ende der Lichtgestalt Conner Rousseau erzählt. Eigentlich hatte man Mitte vergangener Woche noch gedacht, dass eben diese Geschichte ausgesessen sei. Es war bekannt geworden, dass Rousseau von der Justiz eine Therapie auferlegt bekommen hatte. Außerdem musste er der Gedenkstätte in der Kaserne Dossin in Mechelen einen Pflichtbesuch abstatten. Ende der Geschichte?!
Pustekuchen! Falsch gedacht! Denn eine flämische Zeitung druckte tags darauf den genauen Wortlaut des Rousseau'schen Ausrasters ab. Und spätestens da zeigte sich: Der junge Vooruit-Chef hatte in der fraglichen "besoffenen Nacht" in Sint-Niklaas nicht mal eben ein paar unglückliche Wörtchen fallen lassen, sondern übelst vom Leder gezogen: Eine Brandrede gespickt mit Wortschatz aus der untersten Schublade. "Rassistisch und sexistisch", da gab's eigentlich keine Diskussion.
Spätestens da wurde Rousseaus "besoffene Nacht" für Vooruit zu einem ausgewachsenen Glaubwürdigkeitsproblem. Denn allen voran eben dieser Conner Rousseau hatte die Partei im politischen Spektrum eigentlich als "Bollwerk" gegen die extreme Rechte positioniert, als gemäßigte Alternative zu den rechten und rechtsextremen Nationalisten. Die rassistischen Entgleisungen des Parteichefs passten da natürlich ganz und gar nicht ins Bild.
Deswegen blieb Rousseau denn auch eigentlich keine andere Wahl: "Ich habe einen Fehler gemacht. Ich nehme das komplett auf meine Kappe. Und ich übernehme dafür die Verantwortung". Abgang Rousseau also. Das war am vergangenen Freitagabend. Schon am Samstagmorgen wurde die Nachfolgerin vorgestellt: Melissa Depraetere soll die Partei bis nach den Wahlen als Interimsvorsitzende führen.
Wirklich Klarheit hatte Vooruit damit aber nicht geschaffen. Denn das Ganze wurde eigentlich fast schon dargestellt wie ein simpler Betriebsunfall. Nach dem Motto: Rousseau hat "falsche" Aussagen gemacht, er hat seine Konsequenzen gezogen, Punkt, aus, nächstes Thema! Keine klare Verurteilung seiner Wortwahl also. Schlimmer noch: Niemand wollte hier Ross und Reiter nennen.
Beispielhaft steht da das Interview mit der frischgebackenen Interimsvorsitzenden am Sonntag in der VRT: "Warum schafft niemand es, Rousseaus Aussagen ausdrücklich als rassistisch und sexistisch zu bezeichnen?", fragt die VRT-Journalistin. "Nun, darüber wird erstmal die Staatsanwaltschaft zu entscheiden haben", erwidert Melissa Depraetere. "Es waren sehr falsche Aussagen, die Menschen verletzt haben." "Sehr falsche Aussagen", das war also die Formel, die man parteiintern ausgegeben hatte, um die Worte von Conner Rousseau zu qualifizieren.
Das sorgte eben dafür, dass das Bild erstmal schief hing. Denn ein wirklich unzweideutiges, starkes Zeichen gegen Rassismus war das nicht, und Vooruit wurde damit auch nicht glaubwürdiger als selbsternannte Bastion gegen extrem rechts. Genau diese Einschätzung bekam die Partei denn auch insbesondere in den Presse-Leitartikeln am Montag genüsslich um die Ohren gehauen.
Buchstäblich über Nacht scheint bei den Vooruit-Verantwortlichen dann aber doch der Groschen gefallen zu sein. Also, sie habe wirklich kein Problem damit, die Aussagen als das zu bezeichnen, was sie waren, nämlich nicht nur falsch, sondern eben auch rassistisch und sexistisch, sagte die Vooruit-Föderalministerin Caroline Gennez am Morgen in der VRT. Melissa Depraetere habe das im Übrigen in einem Konkurrenzsender ebenfalls so gehandhabt. Der Verweis auf gleichlautende Aussagen der neuen Parteichefin in einem anderen Sender mag ein weiteres Indiz dafür sein, dass Vooruit tatsächlich die Kommunikationslinie angepasst hat.
"Und woher kommt dieser Sinneswandel?", wurde Caroline Gennez dann folgerichtig gefragt. Eine klare Antwort gab es von der routinierten Vooruit-Ministerin nicht. Nur so viel: Depraetere und Rousseau seien Freunde und Weggefährten. Außerdem habe Rousseau sehr viel für die Partei getan. "Er hat uns wieder in die Spur gebracht", sagte Gennez. Und, sie hoffe doch, dass die Menschen die Partei aufgrund ihrer Leistungen und Errungenschaften beurteilen werden. "Wir sind so viel mehr als eine 'besoffene Nacht'."
Roger Pint
So ein Desaster entsteht, wenn junge Greenhorns am Ruder sind...