"Ich habe einen Fehler gemacht. Ich nehme das komplett auf meine Kappe. Und ich übernehme dafür die Verantwortung". Zerknirscht gab Conner Rousseau am Freitagabend seinen Rücktritt als Vooruit-Vorsitzender bekannt. Um 19:10 Uhr, zur besten Sendezeit in Flandern, wenn auf allen Kanälen die Haupt-Fernsehnachrichten laufen.
Das war dann also das vorläufige Ende einer Lichtgestalt. Conner Rousseau war nämlich in der belgischen Parteienlandschaft ein regelrechtes Phänomen. Quasi aus dem nichts kommend übernahm er vor ziemlich genau vier Jahren den Vorsitz der flämischen Sozialisten. Die Partei, die damals noch SP.A hieß, dümpelte im elektoralen Niemandsland umher, hatte eigentlich ein langweilig-farbloses Image. Mit seinen gerade mal 27 Jahren schien der jugendlich wirkende Conner Rousseau in diesen angestaubten Laden gar nicht reinpassen zu wollen, was er dann aber auch schnell änderte.
Der Mann mit seinen Zehntausenden Followern in Sozialen Medien, der sich im Netz King Connah nannte, brachte die Kommunikation auf Vordermann und verpasste den Sozialisten in Nullkommanix ein neues, spritziges, junges Image. Zwar blieben dabei die Inhalte etwas auf der Strecke. Er wusste sich aber mit erfahrenen Leuten zu umringen, überredete gestandene Parteisoldaten wie Franck Vandenbroucke oder Caroline Gennez dazu, auf die politische Bühne zurückzukehren und Ministerämter zu übernehmen. Und aus dem Dinosaurier SP.A wurde dann schließlich Vooruit, quasi eine Art Sozialisten 2.0.
Einen solch fulminanten Aufstieg hat man noch selten gesehen. Eben deswegen wurde Conner Rousseau denn auch immer mal wieder mit dem Ikarus aus der griechischen Mythologie verglichen. Und die Pressekonferenz vom vergangenen Freitag schien da letztlich auch ins Bild zu passen, denn Rousseau wirkte eben wie dieser Ikarus, der der Sonne zu nahe gekommen war und am Ende ungebremst zu Boden stürzt.
Rücktritt
Gestolpert ist Rousseau über Aussagen, die er im September in seiner Heimatstadt Sint-Niklaas in Gegenwart eines Polizisten gemacht hatte. In, wie er immer betont hat, betrunkenem Zustand zog er dabei derartig vom Leder, dass der Beamte den Vorfall zu Protokoll nahm. Gerade erst vor einigen Tagen wurde bekannt, dass Rousseau deswegen von der Justiz eine Therapie auferlegt bekommen hat. Damit, so konnte man den Eindruck haben, schien der Vorfall eigentlich erledigt zu sein. Bis die Zeitung Het Laatste Nieuws den genauen Wortlaut der verbalen Entgleisung veröffentlichte. Und da konnte es dem Leser doch wirklich die Sprache verschlagen. Insbesondere der von Rousseau benutzte Wortschatz war "unter aller Kanone". Übelster Rassismus und Sexismus, anders kann man das nicht nennen. Am Ende wurde der Druck so groß, dass Rousseau eben seinen Hut nahm.
Er selbst ließ es da aber doch an Einsicht vermissen. Rousseau stellte sich am Freitagabend eher als das Opfer einer Hexenjagd hin, nahm diesen Begriff sogar in den Mund. Erst all die angeblichen Enthüllungen über sein Privatleben, dann die fraglichen Aussagen, die falsch waren und für die er nochmal um Verzeihung bitte, all das habe dazu geführt, dass sich die Lage grundlegend verändert habe: Als das Gedöns um seine Person lenke inzwischen vom Wesentlichen ab, also von der Partei, ihren Errungenschaften und ihren Inhalten.
Nachfolge
Etwas mehr als zwölf Stunden später stand dann aber auch schon die Nachfolgerin fest: Melissa Depraetere. Auf den ersten Blick kann sie wirken wie das weibliche Gegenstück zu Conner Rousseau: Beide sind Jahrgang 1992, beide sind extrem talentiert und symbolisieren somit gleichermaßen die Erneuerung der Partei. Sichtbarster Unterschied: Conner Rousseau ist als Meister der Selbstvermarktung im Internet eher der Verkäufer-Typ, Melissa Depraetere ist ihrerseits eine Frau der politischen Inhalte und der Überzeugungen. Sie komme aus einer gewöhnlichen Arbeiterfamilie, sagte Depraetere. Sie wisse also, was die Bürger beschäftigt. Und sie wisse auch um die enormen Herausforderungen der Zukunft.
Conner Rousseau nannte sie einen "Weggefährten". Und doch betonte sie, dass ihr Vorgänger erstmal nicht mehr in die Parteiarbeit eingebunden werde. Sich deutlich von Rousseau distanzieren, so weit wollte Depraetere dann aber doch nicht gehen. Und auch die Partei tut sich schwer mit dem Umgang mit ihrer einstigen Lichtgestalt. Beispielhaft dafür steht die Aussage von Vooruit-Routinier Bruno Tobback: "Wäre es zur Abstimmung gekommen, dann hätten neun von zehn Vorstandsmitgliedern sich dafür entschieden, dass Rousseau bleiben soll."
Kein Vooruit-Führungsmitglied scheint es über die Lippen zu bekommen, dass Rousseau mit seinen krassen Aussagen eine Rote Linie überschritten hat. Der Bruch ist also nicht vollzogen. Die neue Interimsvorsitzende wollte das aber nicht so stehenlassen: Mit Rousseaus Rücktritt sei doch alles gesagt, erklärte Depraetere in der VRT. Damit habe er doch klar gezeigt, dass er selbst der Ansicht ist, dass seine Äußerungen mit seinen Überzeugungen kollidieren. "Das muss doch reichen! Und was danach kommt, nun, dass wird die Zukunft zeigen."
Roger Pint