An der Klagemauer in Jerusalem versammelten sich zahlreiche Menschen, um an den Tag vor einem Monat zu erinnern, an dem die neue Eskalation von Gewalt im Nahen Osten begann. Dass das genau einen Monat nach dem Massaker der Hamas passiert, hat einen Grund auch in der jüdischen Tradition. Ein Monat dauert nämlich die Trauerphase für Juden, erklärte Yves Oschinsky, Präsident des Dachverbands jüdischer Organisationen in Belgien (CCOJB), am Dienstagvormittag in der RTBF. "Nach einem Monat ist die Trauerphase in gewisser Weise vorbei. Eine Rückkehr zu einem mehr oder weniger normalen Leben ist dann wieder möglich."
Deshalb soll am Dienstagabend auch in Brüssel noch einmal bewusst den Opfern von vor einem Monat gedacht werden. "Dieses wichtige Datum nehmen wir zum Anlass, um eine Gedenkzeremonie für die Opfer des Terrorangriffs am 7. Oktober in der Großen Europa-Synagoge in Brüssel heute Abend zu feiern."
Die Feier werden die Juden am Dienstagabend in Brüssel nicht unbedingt mit dem Gefühl der größten Sicherheit begehen. Denn auch für sie würde gelten: Nachdem sich zunächst fast die ganze Welt unter dem Eindruck des Hamas-Massakers geschockt an die Seite der Juden gestellt hatte, sei die Stimmung mittlerweile gekippt. Auch in Belgien bekämen Juden das zu spüren. "Dieser internationale Kontext im Nahen Osten hat zu einem bemerkenswerten Anstieg der antisemitischen Handlungen geführt", berichtet Oschinsky über die Lage in Belgien.
Seine Behauptung belegt er mit Zahlen. So habe das föderale Anti-Diskriminierungszentrum Unia allein im Oktober 30 antisemitische Fälle verzeichnet. Ein Jahr zuvor seien es im gleichen Zeitraum nur fünf gewesen. Bei der Internetseite antisemitisme.be seien sogar mehr als 100 Fälle im vergangenen Monat gemeldet worden. "Es ist zu körperlichen Angriffen gekommen. Sieben wurden bislang gezählt", sagte Oschinsky. "Es gibt zahlreiche Demonstrationen und Wandschmierereien, die sich gegen Juden richten."
Die jüdische Gemeinschaft in Belgien stehe zusammen. Die Politik Israels und das massive militärische Vorgehen im Gazastreifen werde von der Gemeinschaft in Belgien unterstützt, sagte Oschinsky, der - danach gefragt - auch eine Vision für eine Zukunft im Nahen Osten nannte. "Unser Verband ist für eine Zwei-Staaten-Lösung", sagte Oschinsky. "Aber man muss sich die Frage nach dem Zeitpunkt stellen. Aktuell ist nicht die Zeit, über solche Fragen zu verhandeln. Aktuell geht es darum, Israel zu verteidigen."
Kay Wagner