"Vooruit", das heißt eigentlich "vorwärts". Irgendwie kann man in diesen Tagen aber den Eindruck haben, dass sich die flämischen Sozialisten eher im Kreis bewegen. Genauer gesagt: Sie befinden sich in einer lupenreinen Negativspirale. Kaum hat man eine Peinlichkeit ausgesessen und den Eindruck, dass man jetzt wieder nach vorn blicken kann, da taucht schon wieder eine neue kompromittierende Schlagzeile auf, ein potenzieller Skandal.
Viele dieser Geschichten drehen sich um den jungen Parteivorsitzenden Conner Rousseau. Der 30-Jährige hat den Sozialisten ein neues, eben ein jugendliches Image verpasst, insbesondere in puncto Kommunikation. Rousseau ist sehr geschickt im Umgang mit Sozialen Medien. Das Ganze scheint zu wirken. Nach einer langen Durststrecke ging es mit den Sozialisten zuletzt wieder "vooruit", vorwärts, und zwar nach oben. In der letzten Umfrage standen sie mit sehr respektablen 16 Prozent auf dem dritten Platz in der flämischen Wählergunst.
Erfolg kann aber bekanntlich gefährlich sein. Befindet sich eine Partei im Aufwind, dann beginnen viele Leute sich eingehender mit deren Galionsfiguren zu beschäftigen. Und Conner Rousseau muss genau diesen Eindruck haben: dass man ihn beobachtet, vielleicht sogar mehr. Vor einiger Zeit wurde bekannt, dass drei Klagen bzw. Beschwerden gegen ihn vorliegen wegen angeblichen sexuellen Fehlverhaltens. Die erwiesen sich später allesamt als gegenstandslos. Kaum war diese Geschichte vom Tisch, da berichtete die Presse über einen Zwischenfall in Rousseau's Heimatstadt Sint-Niklaas. Einem Polizisten gegenüber soll sich Rousseau abfällig über Mitglieder der Roma-Gemeinschaft geäußert haben.
Die Beamte haben den Vorfall schriftlich festgehalten. Den genauen Wortlaut kennt man aber nicht, weil Rousseau ein Veröffentlichungsverbot erwirken konnte. Die Rede ist aber von "rassistischen Äußerungen" und in diesem Zusammenhang sogar von einer möglichen Anstiftung zur Gewalt. Er selbst sah sich Anfang des Monats dazu gezwungen, in einer aufsehenerregenden Pressekonferenz Stellung zu beziehen: Er habe in einem "betrunkenen" Moment und "in scherzhaftem Ton" über die Roma-Gemeinschaft "verkehrte Aussagen" gemacht, von denen er sich distanzieren wolle. Aber: Betrunken oder nicht, Scherz oder nicht, er wolle dafür um Verzeihung bitten.
Das war am vergangenen 5. Oktober. Wie die Zeitung Het Nieuwsblad berichtet, war die Partei aber just an diesem Donnerstag auch noch in einer anderen Sache mit Krisenmanagement beschäftigt. An eben diesem Tag wurden nämlich einige Tausend Euro auf das Konto einer Ex-Mitarbeiterin überwiesen. "Wie sich herausstellen sollte, war das schlicht und einfach 'Schweigegeld'", schreibt Het Nieuwsblad.
Demnach war es so: Die junge Mitarbeiterin war das Opfer "grenzüberschreitenden Verhaltens" geworden, wie es im Flämischen heißt. Das ging aus von einem älteren, weisungsbefugten Kollegen. Erst habe sich das noch auf anstößige, unangenehme Bemerkungen beschränkt. Nach der Hochzeitsfeier eines Kollegen in einem privaten Rahmen schlägt der männliche Kollege aber vollends über die Stränge: Er wird körperlich übergriffig und betatscht die junge Frau. Zwei Tage später wendet sie sich in dieser Sache an die Parteispitze, doch reagiert man dort zunächst eher gelassen.
Anfang 2022 landet der Fall dann aber doch bei einem externen Dienst für Prävention und Schutz am Arbeitsplatz. Im Mai 2022 legt die ihr Gutachten vor - und das ist vernichtend für die Parteiführung, der unter anderem eine "Macho-Kultur" attestiert wird. Plötzlich geht es schnell: Der übergriffige Kollege wird entlassen. Nur ein paar Wochen später passiert aber das gleiche mit der jungen Frau: Auch ihr wird gekündigt. Das allerdings ist ungesetzlich, denn nach einer Beschwerde bei einem Dienst für Prävention und Schutz am Arbeitsplatz darf der oder die Klägerin binnen der darauffolgenden zwölf Monate nicht entlassen werden.
Vooruit gibt in einer schriftlichen Erklärung an, dass es keinen Zusammenhang zwischen der Entlassung und der Klage gebe. Vielmehr sei die Arbeit der jungen Frau mehrmals negativ beurteilt worden. Die wollte es dennoch nicht darauf beruhen lassen und wandte sich an das Institut für die Gleichstellung von Frauen und Männern. Und dort war man bereit, mit dieser Angelegenheit notfalls vor Gericht zu ziehen. Vooruit habe sich dann - grob zusammengefasst - bereiterklärt, der Frau eine zusätzliche Entschädigung zu zahlen, dies aber mit der Auflage, auf sämtliche Rechtsmittel zu verzichten und über den Vorfall zu schweigen. Ein entsprechender Vergleich sei Anfang September dieses Jahres von beiden Seiten unterzeichnet worden. Parteichef Conner Rousseau sei über all diese Vorgänge informiert und teilweise auch direkt eingebunden gewesen.
Het Nieuwsblad stellt sich dann aber doch eine Frage: Warum zahlt Vooruit der Frau Geld, wenn man doch angeblich so überzeugt davon ist, dass man in dieser Sache alles richtig gemacht hat? Die Antwort sei Vooruit bislang schuldig geblieben. Wieder eine Negativschlagzeile also für die flämischen Sozialisten, die sich für Vooruit noch als gefährlich erweisen kann.
Roger Pint