Für Diplomatie braucht es vor allem zwei Dinge: Sehr viel Fingerspitzengefühl und sehr viel Geduld. Das weiß natürlich auch Premierminister Alexander De Croo. Gerade wenn es um ein so vorbelastetes Thema wie den Nahostkonflikt geht.
Es sei einfach ein hochsensibles Thema, bestätigt De Croo auch im Interview mit der VRT. Nicht nur wegen der über 70-jährigen Vorgeschichte der aktuellen Phase des Konflikts, sondern auch, weil es Unterschiede zwischen den europäischen Ländern gebe, was ihre Betroffenheit oder Interessenlage angehe in der Region.
Einige Staats- und Regierungschefs hätten sehr komplexe Positionen und wollten diese auch ausführlich darlegen. Die Gespräche im Rahmen des EU-Gipfels hätten also einfach viel gegenseitigen Respekt und Zeit erfordert. Das sei einfach nötig, auch wenn vorab natürlich ebenfalls schon Gespräche geführt worden seien.
Eins-zu-eins Belgiens Position
Die gemeinsame Abschlusserklärung entspreche aber letztlich beinahe eins-zu-eins der Position, die Belgien wieder und wieder vertreten habe. Und das umfasse im Prinzip drei essenzielle Forderungen der Europäischen Union an die Konfliktparteien: erstens sofortige humanitäre Hilfe für die palästinensische Zivilbevölkerung, zweitens die bedingungslose Freilassung aller Geiseln der Hamas und drittens die Organisation einer internationalen Friedenskonferenz.
Wie diese Friedenskonferenz aussehen soll, hat die föderale Ministerin für Entwicklungszusammenarbeit, Caroline Gennez, bei der RTBF erklärt: Am sogenannten "Peace Day Effort" sollen die arabischen Länder der Region teilnehmen, Israel, die Palästinenser und die Vereinigten Staaten. Das bedeute aber keinesfalls Verhandlungen mit der Hamas, unterstreicht Gennez, denn das sei eine Terrorgruppe. Das Einzige, was die Hamas potenziell beizutragen habe, sei die Freilassung der Geiseln.
Vom Frieden weit entfernt
Das Wichtigste, das betonen sowohl Gennez als auch De Croo, sei ein schnellstmögliches Ende der Gewalt. Und der erste Schritt dafür sei eben der Zugang der palästinensischen Zivilbevölkerung zu Hilfsgütern.
Man dürfe auch keinesfalls den Gegnern eine Steilvorlage liefern, die dem Westen beziehungsweise den Europäern vorwerfen, mit zweierlei Maß zu messen, betont De Croo. Wer der ukrainischen Bevölkerung helfe, müsse natürlich auch der palästinensischen helfen.
Von Frieden sei man mit der Erklärung natürlich immer noch weit entfernt, räumt Gennez ein: Die Bombardierungen und die Gewalt gingen ja weiter, 7.000 Opfer seien bislang zu beklagen. Aber ohne eine Deeskalation drehe sich die Spirale der Gewalt immer weiter.
Vorschlag einer Waffenruhe abgelehnt
Inwiefern Belgien die gemeinsame EU-Erklärung als Erfolg bewertet, lässt zumindest der Premierminister offen. Das sei schon wichtig, so De Croo, denn das bringe die 27 Mitgliedsstaaten auf eine, gemeinsame Linie.
Seine Ministerin für Entwicklungszusammenarbeit wird da etwas deutlicher auf die Frage, ob sie vom Ergebnis enttäuscht sei: Ja, schon etwas, zumindest habe sie gemischte Gefühle. Das Positive sei, dass die zuvor herrschende Kakophonie innerhalb der EU damit ad acta gelegt worden sei, nach außen Einigkeit zu zeigen, sei sehr wichtig.
Aber sie leugne auch nicht, dass die belgische Regierung eine Waffenruhe vorgeschlagen habe. Damit konnte sich Belgien aber nicht durchsetzen. Diese Forderung soll beispielsweise Deutschland zu weit gegangen sein.
So oder so wird man aber abwarten müssen, ob die jetzt so sorgsam abgewogenen Worte der EU-Staaten überhaupt irgendetwas bewirken werden.
Boris Schmidt