"Ich muss nicht mehr Netflix gucken", sagte Föderalprokurator Frédéric Van Leeuw schon vor einigen Jahren in der RTBF. "Was ich gesehen habe, das ist manchmal sogar noch schlimmer als in gewissen Serien, das ist regelrecht haarsträubend". Van Leeuw weiß, wovon er spricht. Er hat ja unter anderem die SkyECC-Akte behandelt: Vor zweieinhalb Jahren war es der belgischen Polizei gelungen, das Kommunikationsnetzwerk der Drogenmafia zu knacken. Sie hat also über Monate hinweg mitlesen und mithören können. Und dabei wurde nochmal mehr als deutlich, wie skrupellos und grausam es in der Szene zugeht.
In dieser Woche gab es aber einen Vorfall, der erstmal so unglaublich ist, dass er wirklich direkt aus einem Drehbuch stammen könnte. Alles beginnt erstmal mit einem Fahndungserfolg: Am Dienstag stellen Ermittler im Antwerpener Hafen zehn Tonnen Kokain sicher. Der Container kam aus dem westafrikanischen Sierra Leone, die Drogen waren versteckt in einer Ladung Sojamehl. Zehn Tonnen Kokain! Den Straßenwert schätzt man auf mal eben 500 Millionen Euro. Die heiße Ware muss dann aber noch in ein gesichertes Lagerhaus der Zollbehörden gebracht werden.
Und hier wird es spannend. Wie die Zeitung Het Nieuwsblad am Freitag rekonstruiert, geht um diese Zeit eine Warnung bei der Polizei ein. Demnach habe die Entdeckung der Ladung durch die Zollbehörden die Drogenschmuggler richtig wütend gemacht, so wütend, dass sie laut Gerüchten die Absicht hätten, sich "ihr" Kokain mit Gewalt zurückzuholen. "Große Nervosität macht sich breit", schreibt Het Nieuwsblad. Und tatsächlich geht kurz darauf ein Hilferuf der Zollbeamten ein, die die Drogen in das gesicherte Lagerhaus bringen sollen: "Helft uns! Wir werden verfolgt!".
Sofort wird die schnelle Einsatzgruppe der Antwerpener Polizei mobilisiert. Die Eliteeinheit bezieht Stellung an einer Kreuzung, die man passieren muss, wenn man zu dem Lagerhaus gelangen will. Erst kommt der Zolltransporter. Und dahinter tatsächlich ein schwarzer Minibus mit niederländischem Kennzeichen. Von der jetzt folgenden Szene gibt es sogar ein Amateurvideo: Man sieht, wie die Beamte den Van stoppen. Sie keilen ihn vorne und hinten mit Fahrzeugen ein und fordern die Insassen auf, mit erhobenen Händen auszusteigen.
Sieben Männer sind es, die sich auf die Straße legen müssen und denen dann Handschellen angelegt werden. An Bord ihres Minibusses werden drei geladene Handfeuerwaffen gefunden. An der Windschutzscheibe klebt auch ein Navi. Die Adresse, die eingegeben wurde, ist die von dem gesicherten Zollager, in das die Drogen transportiert werden mussten. Spätestens da war klar, wie knapp die Zollbeamten einer regelrechten Kommando-Aktion entgangen waren.
Bei den Verdächtigen handele es sich um Männer zwischen 22 und 35 Jahren, allesamt aus den Niederlanden, sagte Kristof Aerts, Sprecher der Antwerpener Staatsanwaltschaft, in der VRT. Gegen sie sei Haftbefehl erlassen worden. Man geht davon aus, dass dieselben Männer vorher schon in ein anderes Lagerhaus eingedrungen waren, in denen die Drogen zwischengelagert worden waren. Sie bedrohten den anwesenden Wachmann, zogen dann aber unverrichteter Dinge wieder ab.
Das Ganze hat natürlich vor allem unter den Mitarbeitern der Zollbehörden eine Schockwelle ausgelöst. "Die Kollegen fühlen sich schon seit längerer Zeit wie wandelnde Zielscheiben", sagte Johan Lippens von der christlichen Gewerkschaft CSC. "Immer wieder sagen uns Zollbeamte, dass sie den Eindruck haben, sie würden verfolgt. Wenn die Bedrohung dann aber konkret wird, dann macht sich natürlich Angst breit."
Deswegen fordern die Gewerkschaften jetzt denn auch mehr Personal und mehr Mittel für die Zollbehörden, vor allem eine bessere Bewaffnung. "Manche Kollegen stehen da mit Pfefferspray oder Schlagstöcken", beklagt der Gewerkschafter. Das ist ein bisschen wenig, wenn man weiß, mit wem man es zu tun hat. Jetzt wurde ein Angriff noch vereitelt. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bevor so etwas tatsächlich mal passiert."
Roger Pint