Das, was einige der Nebenkläger und auch Beobachter befürchtet hatten, ist also eingetreten. Kaum hatte der Prozess gegen sieben Führungsmitglieder der rechtsradikalen Jugendorganisation Schild & Vrienden begonnen, da war er auch schon wieder vorbei, zumindest bis auf Weiteres. "Auf unbestimmte Zeit vertagt", so lautet der Beschluss des Richters.
Begonnen hat alles vor inzwischen bereits fünf Jahren mit einer Reportage im VRT-Fernsehmagazin Pano. Die Journalisten hatten sich die Jugendorganisation Schild & Vrienden einmal genauer angeguckt. Bis dahin galt der Verein noch lediglich als stramm konservativ und nationalistisch, wobei die Gruppe auch schon durch aufsehenerregende und provokante Aktionen auf sich aufmerksam gemacht hatte.
Dennoch pflegte Schild & Vrienden ein Saubermann-Image: die Mitglieder immer adrett gekleidet, die Haare fein gescheitelt, allerdings sehr männlich und ausnahmslos weiß, was an sich freilich kein Problem sein muss. Man ahnte zwar schon, dass diese vorgeblichen Traumschwiegersöhne eine radikale Ader haben könnten, aber nach außen hin gab man sich betont salonfähig.
Den Pano-Journalisten ist es aber gelungen, hinter diese propere Fassade zu blicken. Sie konnten eine interne Internet-Chatgruppe des harten Kerns von Schild & Vrienden einsehen. Und da blickten sie buchstäblich in Abgründe, da zeigte sich, aus welchem Holz Schild & Vrienden wirklich war: 65.000 Botschaften, oft "Internet-Cartoons", die allermeisten nur so durchsetzt von rassistischem, manchmal antisemitischem Gedankengut. Angebliche "Scherze" aus der definitiv untersten, der dunkelbraunen Schublade, in denen mitunter auch der Holocaust, vielleicht nicht geleugnet, aber zumindest verharmlost wird; Gewaltfantasien, in denen auch Waffen eine große Rolle spielen.
Die Bilder sorgten jedenfalls für eine Welle der Empörung, mitunter für regelrechtes Entsetzen. Die zuständige Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen auf.
Im Fokus stand da vor allem der Gründer und Chef von Schild & Vrienden: Dries Van Langenhove, ein geborener Polit-Provokateur, nannte sich selbst in besagter Chatgruppe der "Endboss". Nur wenige Monate nach Bekanntwerden der rechtsradikalen Umtriebe seines Vereins ging Van Langenhove in die Politik. Er kandidierte auf einer Liste des rechtsextremen Vlaams Belang, ohne dabei Parteimitglied zu sein. Und er wurde mit einem durchaus stattlichen Vorzugsstimmenergebnis in die Kammer gewählt. Als sich Anfang dieses Jahres abzeichnete, dass es dann doch zum Prozess kommen würde, schied er aus dem Parlament aus.
Denn die Ermittlungen gegen die Führungsmitglieder von Schild & Vrienden waren inzwischen abgeschlossen. Zwar zogen die Anwälte der Beschuldigten alle Register, um das Verfahren immer wieder zu verzögern, aber dann wurde doch endlich ein Gerichtstermin angesetzt.
Dieser große Tag war am Dienstag: Neben Van Langenhove sollten sich sechs weitere Kader der rechtsradikalen Vereinigung vor dem Strafgericht von Gent verantworten. Unter anderem wegen Verstoßes gegen die Antirassismusgesetzgebung, Anstiftung zu Hass und Gewalt, Negationismus und illegalen Waffenbesitzes. Beobachter rechneten aber schon damit, dass die Verteidigung wieder in die Trickkiste greifen und irgendeinen Prozedurfehler geltend machen würde. Und genau so kam es dann auch. Grob zusammengefasst stellt die Verteidigung die Benennung des zuständigen Richters infrage. Hier seien nicht die entsprechenden Prozeduren eingehalten worden, sagte Hans Rieder, der Anwalt von Van Langenhove. Diese Grauzone gebe es schon lange bei belgischen Gerichten. Und das laufe letztlich darauf hinaus, dass sich die Staatsanwaltschaft den Richter de facto aussuchen könne.
Das Gericht muss diesen Einwand jetzt innerhalb der kommenden acht Tage prüfen. Bis auf Weiteres hat der Richter aber das Verfahren eben auf unbestimmte Zeit vertagt.
"Fünf Jahre haben wir gewartet. Und nach zwei Minuten wird der Prozess dann schon wieder abgeblasen. Was für eine Enttäuschung! Traurig!", sagte Jos Vander Velpen, der Anwalt der Menschenrechtsliga, die in dem Verfahren als Nebenklägerin auftritt.
Der eine oder die andere befürchtet schon, dass das Verfahren damit auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben wird. Denn, gleich wie die Entscheidung des Gerichts ausfällt: Es muss ein neuer Prozesstermin angesetzt werden. Kati Verstrepen, die Vorsitzende der Menschenrechtsliga, gab sich in der VRT aber kämpferisch: Die Vorwürfe sind ausgiebig dokumentiert, die Anklage ist unzweideutig und es kommt der Tag, da werden sich die Beschuldigten vor einem Gericht verantworten müssen.
Roger Pint