Die Gruppe der Über-65-Jährigen, die alleine leben, ist in gleich doppelter Hinsicht besonders anfällig für Einsamkeit, unterstreicht die Soziologin Katrijn Delaruelle im Interview mit Radio Eén. Sie hat die Studie gemeinsam mit Kollegen aus Antwerpen und Amsterdam durchgeführt. Erstens musste sich diese Bevölkerungsgruppe wegen ihres Alters besonders gut durch Isolation vor Corona schützen. Zweitens hatten sie durch ihre Lebenssituation eben keine Menschen in ihrer direkten Umgebung für Kontakte.
Das zentrale Ergebnis der Studie ist denn auch keine Überraschung: Rund 20 Prozent der alleinlebenden Über-65-Jährigen geben an, sich nach der Pandemie einsamer zu fühlen als davor. Wobei es deutliche Unterschiede gibt zwischen den 28 europäischen Ländern (plus Israel), deren Daten analysiert worden sind. Am stärksten fällt die Zunahme der Alterseinsamkeit demnach in den südeuropäischen Ländern Griechenland, Italien und Malta aus.
Auf Platz vier folgt dann aber schon Belgien. Hierzulande gibt jeder dritte Befragte an, sich einsamer zu fühlen als vor der Pandemie - rund zehn Prozent mehr als der europäische Durchschnitt von 20 Prozent. Die Nachbarländer Deutschland, Frankreich, die Niederlande und Luxemburg stehen nicht wirklich besser da. Selbst Schweden, das sonst oft vorne liegt im sozialen Bereich, bekleckert sich in dieser Studie nicht mit Ruhm.
Für Südeuropa sei man nicht überrascht von der Evolution der Alterseinsamkeit, so Delaruelle, schließlich sei die Familie in den dortigen Gesellschaften immer die zentrale Institution gewesen. Die Zäsur der Isolation während der Pandemie sei also logischerweise besonders tief gewesen.
In Belgien funktioniere dieser Erklärungsansatz aber viel weniger gut, denn die Familienkultur spiele hier eine weniger zentrale Rolle. Das bedeute auch, dass die Erwartungen an familiäre Kontakte nicht so hoch seien wie eben in Südeuropa. Die Forscher haben also nicht erwartet, dass sich die Pandemie in unseren Breiten so stark auf die Einsamkeit auswirken würde. Eine deutliche Erklärung für das Phänomen haben die Soziologin und ihre Kollegen bisher auch noch nicht, eine künftige Studie soll mögliche Ursachen erforschen.
Einen eigenen Erklärungsansatz liefert derweil aber schon mal der Flämische Älterenrat, der von den Ergebnissen der Studie nicht überrascht ist: Die Einsamkeit älterer Menschen sei zwar schon vor Corona hoch gewesen, räumt Nils Vandenweghe vom Älterenrat ein. Aber der Rat sehe hier auch einen Zusammenhang mit zahlreichen gesellschaftlichen Entwicklungen und politischen Entscheidungen.
Die Einsparungen bei öffentlichen Verkehrsmitteln, das Vereinsleben für Ältere, das sich noch immer nicht erholt habe von der Pandemie, die immer teurere und zeitlich knapper bemessene häusliche Pflege, das Verschwinden von Geldautomaten und kleinen Geschäften - all das und noch vieles mehr trage zum Einsamkeitsrisiko für bestimmte Menschen bei, beklagt Vandenweghe.
Zumindest habe die Pandemie in dieser Hinsicht etwas Positives bewirkt, betont derweil Delaruelle: Das Problem bekomme nun endlich mehr Aufmerksamkeit.
Und das scheint auch bitter nötig. Einsamkeit sei ein soziales Problem mit zahlreichen gesundheitlichen Folgen - und zwar sowohl körperlich als auch psychisch. Einsamkeit könne zu mehr Herz- und Gefäßkrankheiten führen, zu einer verringerten Lebensqualität, einer niedrigeren Lebenserwartung und zu Depressionen.
Boris Schmidt