Ein 13-jähriger Junge, der am Bahnhof von Sint-Truiden in der Provinz Limburg erniedrigt, bedroht und geschlagen wird, wobei die Täter sich dabei filmen. In Zelzate in Ostflandern zwingen andere Täter einen Teenager vor laufenden Kameras auf die Knie, er muss ihre Füße küssen und wird danach verprügelt. In Antwerpen ist es offenbar eine ganze Gang minderjähriger Mädchen, die gleich reihenweise brutale Angriffe auf andere Mädchen verübt und gefilmt hat.
Diese Fälle sind an sich schon abstoßend genug. Aber gerade der Fall der prügelnden Mädchenbande hat eine neue Gewaltspirale in Gang gesetzt. Denn andere Internetnutzer haben Namen und Adressen angeblicher Täterinnen veröffentlicht, in der Folge ist es zu massiven Gewaltandrohungen und Sachbeschädigungen an den angeblichen Wohnorten der Familien dieser Mädchen gekommen. Das Ganze hat so überhandgenommen, dass Polizei und örtliche Behörden öffentlich zu einem Ende der "Hexenjagd" und der Racheaktionen aufrufen mussten.
Politik, Medien und Öffentlichkeit geben sich geschockt, dabei ist "Happy slapping", was übersetzt etwa "fröhliches Schlagen" heißt, nicht neu. Man könne eigentlich nicht sagen, dass so etwas heute häufiger vorkomme oder neu sei, so Catherine Van de Heyning gegenüber Radio 2. Die Professorin der Universität Antwerpen ist auf Cybergewalt spezialisiert. Der erste solche Fall datiere aus dem Jahr 2008, liege also schon 15 Jahre zurück.
Dass trotzdem ein verzerrter Eindruck entstehe, liege an der Natur des Internets. Wenn neue "Happy slapping"-Videos viral gingen, dann bringe das auch viele alte entsprechende Videos zurück an die Oberfläche der Sozialen Medien. Das erwecke den Anschein, dass plötzlich jeder solche Gewaltvideos drehe. Hinzu komme, dass Jugendliche gerade in den Ferien mehr Zeit hätten, solche Videos zu posten und weiterzuverbreiten, auch das trage zum Aufflackern des "Happy slappings" bei.
Jagd nach Likes
Aber warum machen beziehungsweise verbreiten Kinder und Jugendliche solche Videos überhaupt? Abgesehen von persönlichen Abrechnungen sieht die Expertin dafür vor allem einen ganz trivialen Grund. Es gehe den Jugendlichen vor allem um "Likes", also um virtuellen Ruhm und Anerkennung, sie wollten dazugehören.
Das Problem sei aber, dass das Internet inzwischen voller Gewaltmaterial sei. Um in diesem Sumpf überhaupt noch "Likes" ergattern zu können, müssten die Videos perverserweise eben immer extremer und brutaler werden.
Rache durch Doxing
Je extremer die Misshandlungen werden, desto extremer werden aber nachvollziehbarerweise auch die Reaktionen darauf. Manche kommen zu dem Schluss, dass die einzige adäquate Antwort auf solche Vorfälle ist, es den Tätern in gleicher Münze heimzuzahlen.
Dazu bedienen sich die selbsternannten Rächer des sogenannten Doxings: Sie sammeln personenbezogene Daten über die mutmaßlichen Täter, identifizieren sie oder ihren Aufenthaltsort und veröffentlichen das Ganze dann im Internet.
Auch das ist kein neues Phänomen, so etwas habe man auch etwa beim Reuzegom-Prozess um den Tod des Studenten Sanda Dia erlebt, erinnert Van de Heyning. Dabei richteten diese Rächer aber oft genauso viel Schaden an wie die ursprünglichen Täter; und oft genug treffe diese Selbstjustiz vollkommen Unschuldige.
Die Täter direkt zu konfrontieren könne auch gefährlich sein, betont die Expertin für Cybergewalt. Der effektivste Weg sei, die Gewaltvideos anonym an die jeweiligen Betreiber der Netzwerke zu melden, die sie dann entfernen müssten. Und natürlich gegebenenfalls die Polizei einzuschalten.
Boris Schmidt