Paradoxerweise könnte das System "Schuldgeständnis gegen Strafminderung", juristisch korrekt ausgedrückt "vorheriges Schuldeingeständnis", auch hierzulande schon lange Praxis sein – denn in der belgischen Gesetzgebung ist diese Möglichkeit schon seit 2016 vorgesehen. Angewandt worden ist das System aber bisher nur vereinzelt und ad hoc.
Das soll sich nun aber ändern, die Staatsanwaltschaft Antwerpen will die Praxis systematisch anwenden, sprich Angeklagten soll immer ein Deal angeboten werden. Allerdings kommen zumindest für das Pilotprojekt nicht alle Arten von Vergehen infrage, wie Kristof Aerts, der Sprecher der Staatsanwaltschaft, gegenüber der VRT erläutert. Nur Angeklagte in Finanz-, Wirtschafts- und Umweltvergehen kommen für das Pilotprojekt und damit für einen potenziellen Deal mit der Staatsanwaltschaft in Frage. Und auch nur, wenn es sich nicht um zu schwere Taten handelt beziehungsweise keine erschwerenden Umstände wie beispielsweise Verbindungen zur organisierten Kriminalität im Spiel sind.
Diese Einschränkung hat vor allem zwei handfeste Gründe: Erstens sind diese Arten von Verfahren meistens weniger komplex als andere. Und zweitens gibt es bei diesen Vergehen nicht immer direkte Opfer. Gerade der letzte Punkt sei der Staatsanwaltschaft sehr wichtig, unterstreicht Aerts, denn es gehe keinesfalls darum, Opfer im Regen stehen zu lassen.
Aber wie soll das Ganze eigentlich funktionieren? Wenn die Angeklagten ihre Schuld eingestehen, könne man direkt dazu übergehen, über ein angemessenes Strafmaß nachzudenken. Das biete die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten dann an mit einem Monat Bedenkzeit. In einfacheren Fällen soll auch nicht mehr über diesen Deal verhandelt werden können, bei komplexeren hingegen potenziell schon. Das Gericht muss dem Deal freilich auch noch zustimmen. Eine Vorbedingung dazu ist beispielsweise, dass Geldbußen, Entschädigungen und so weiter auch umgehend bezahlt werden.
Der Angeklagte kann die Absprache aber natürlich auch ablehnen, die Staatsanwaltschaft darf schließlich niemanden zu etwas zwingen. In diesem Fall geht das Verfahren dann seinen normalen, also klassischen Gang durch alle Etappen des Prozesses.
Nach dem "wie" ist die nächste logische Frage das "warum". Denn schließlich wird hier doch ein beträchtlicher Aufwand betrieben für das Pilotprojekt. Und Aufwand ist genau das richtige Stichwort, denn der soll durch die Verfahrensabsprachen verringert werden. Man müsse das Ganze als einen Zeit- und Effizienzgewinn betrachten, führt Aerts aus.
Mit so einem Deal müsse ja nicht mehr über die Schuld oder Unschuld diskutiert werden, das Gericht müsse nur noch entscheiden, ob die Verfahrensabsprache juristisch einwandfrei zustande gekommen sei, ob das Strafmaß im Verhältnis stehe zur Schwere der Tat – und dann sei die Geschichte eigentlich gegessen. Keine langwierigen Verfahrensschlachten und Berufungsverfahren bei höheren Gerichten mehr nötig. Die freigewordenen Kapazitäten könnten dann für komplexere Verfahren genutzt werden.
Der Sprecher will aber nicht nur Vorteile für das Justizwesen und damit für Staat und Gesellschaft sehen, sondern auch für die Verdächtigen. Die Verdächtigen wüssten so viel schneller, welche Strafe ihnen drohe als in einem klassischen Verfahren.
Jetzt soll das Pilotprojekt in jedem Fall erst einmal ein halbes Jahr laufen, um zu sehen, ob es tatsächlich die erhofften Vorteile mit sich bringt. Dann werde man das Ganze evaluieren und entscheiden, ob man die Prozedur schon breiter anwenden könne oder ob noch weitere Anpassungen nötig seien, so der Sprecher der Staatsanwaltschaft Antwerpen.
Boris Schmidt
So ein Deal zwischen Staatsanwaltschaft und Angeklagtem berührt nämlich die richterliche Unabhängigkeit. Es ist doch eigentlich Sache des Richters, das Urteil zu fällen.
Anstatt solcher zweifelhafter Methoden, die theoretisch die Tür öffnen Richtung Unrechtsstaat, sollte man besser das Budget der Justiz und Staatsanwaltschaft erhöhen.
Die Büchse der Pandora sollte nicht geöffnet werden. Wir haben etwas zu verlieren, nämlich den Rechtsstaat.
Dieser Vorschlag ist doch ein weiteres Zeichen für den Verfall des belgischen Staates.