Es liegt in der Natur der Sache, dass Bettler nicht unbedingt eine Bevölkerungsgruppe sind, die leicht zu studieren ist. Oft haben sie keinen festen Wohnsitz, ihre Hintergründe und Herkunft können extrem divers sein, was zum Beispiel schon die Verständigung mit ihnen schwierig machen kann – und ganz sicher nicht zuletzt haben sie oft auch ein ausgeprägtes Misstrauen gegen alles, was nach Behörden aussieht.
Und dazu gehören im Zweifelsfall auch Menschen, die viele Fragen stellen und sich alles aufschreiben. So beschreibt Wirtschaftssoziologe Stef Adriaenssens von der KU Löwen die alles andere als einfache Ausgangslage. Deswegen können die Forscher auf bestimmte Fragen auch keine definitiven Antworten geben, beispielsweise auf die, wie viele Bettler es in der Hauptstadt überhaupt gibt.
Verzerrte Wahrnehmung
Das sei die Eine-Million-Euro-Frage, so Adriaenssens. Aber es seien in jedem Fall viel weniger als Brüsseler oder auch Flamen annehmen würden. Bettler stellten eine recht überschaubare Gruppe dar. Ganz grob geschätzt gehe man von einigen hundert Personen aus, mit einer absoluten Obergrenze von vielleicht 400 bis 500. Was in der Tat nicht viel scheint für eine Stadt von der Größe Brüssels.
Die vielleicht etwas verzerrte Wahrnehmung vieler Bürger lässt sich möglicherweise zum Teil damit erklären, dass sie Bettler mit Obdachlosen gleichsetzen. Denn von denen gibt es in der Hauptstadt viel, viel mehr. Aber nur eine Minderheit von ihnen gehe betteln. Was die Bettler betrifft, können die Forscher zumindest für Brüssel auch ein recht eindeutiges Profil formulieren:
Ein Großteil der Bettler in Brüssel seien Angehörige des Roma-Volkes mit rumänischer Staatsangehörigkeit. Sie machten ungefähr drei Viertel aller befragten Bettler aus. Sowohl die absolute Zahl als auch der Anteil dieser rumänischen Roma an der Bettlerpopulation habe seit der ersten Untersuchung vor rund 15 Jahren auch zugenommen.
Falsche Vorurteile
Gerade Roma-Bettler haben in der Bevölkerung dabei oft einen sehr schlechten Ruf. In den sozialen aber auch in klassischen Medien machen seit Jahren etwa immer wieder Geschichten die Runde über organisierte und kriminelle Bettlerbanden aus Osteuropa.
Vorurteile, mit denen auch Adriaenssens vertraut ist. Per Definition liefen kriminelle und informelle Aktivitäten im Verborgenen ab, es sei für Außenstehende also schwierig, einen kompletten und absolut gesicherten Einblick zu bekommen.
Aber die Beobachtungen der Forscher sprächen doch für sich. Es gebe nur sehr wenige Hinweise auf die Existenz der sprichwörtlichen Männer im dicken Mercedes, die abends nach getaner Bettel-Arbeit die Einkünfte einsammelten.
Geringe Einnahmen
Der Punkt sei auch einfach, dass Betteln keine ergiebige Einnahmequelle sei. Selbst wenn jemand ungestört den ganzen Tag betteln könne, was ja nur selten der Fall sei, rede man von nicht mehr als höchstens ein paar Dutzend Euro.
Die Einkünfte von Bettlern lägen also normalerweise weit unter der Armutsgrenze, das decke sich auch mit den Ergebnissen internationaler Studien. Das erkläre auch, warum etwa die Hälfte von ihnen im wörtlichen Sinn auf der Straße schlafen müssten.
Und so hart das Bettler-Dasein auch grundsätzlich ist, für Roma ist es noch härter, wie der Forscher ausführt. Menschen seien viel weniger bereit, Roma-Bettlern Geld zu geben als irgendeiner anderen Bettlergruppe. Das hätten sowohl Testreihen mit Probanden als auch Befragungen von Passanten auf der Straße bestätigt.
Boris Schmidt