Insgesamt haben die Betreuungszentren für Opfer sexueller Gewalt seit ihrer Gründung schon über 8.000 Menschen zur Seite stehen können. Es werden jedes Jahr mehr, belegen Zahlen des Nationalen Instituts für Kriminalistik und Kriminologie, die Marie-Colline Leroy, die Staatssekretärin für Geschlechtergleichstellung, Chancengleichheit und Diversität, nun veröffentlicht hat.
Zahlen, die laut der Staatssekretärin nur als schockierend bezeichnet werden können. Denn aus ihnen geht unter anderem hervor, dass sich 2022 fast 3.300 Menschen an die Betreuungszentren gewendet haben – im Schnitt neun Menschen pro Tag. Das ist quasi eine Verdopplung innerhalb von zwei Jahren. Die Zahlen zeigten, wie ernst die Lage sei, so Leroy in der VRT.
Profil der Opfer
Schockierend sind aber nicht nur die absoluten Zahlen, sondern auch das Profil der Opfer, denn es melden sich immer mehr junge Menschen bei den Betreuungszentren: Das Durchschnittsalter liegt bei gerade einmal 24 Jahren, über die Hälfte der Opfer geht noch zur Schule oder studiert, bei einem Drittel handelt es sich sogar um Minderjährige. Sowohl die Zahlen aus den Betreuungszentren als auch die Bevölkerungsdaten bestätigten, dass Minderjährige oft zu Opfern sexueller Gewalt würden, so auch Kristien Roelens, medizinische Koordinatorin des Betreuungszentrums in Gent.
Allerdings warnt Roelens davor, aus der steigenden Zahl der Inanspruchnahme der Zentren automatisch auf mehr sexuelle Übergriffe als früher zu schließen. Dass mehr Menschen in die Betreuungszentren für Opfer sexueller Gewalt kämen, hänge wohl auch damit zusammen, dass diese Zentren in der Bevölkerung immer bekannter würden und die Zusammenarbeit mit den Behörden verbessert worden sei. Außerdem sei die Zahl der Zentren auch im letzten Jahr weiter gestiegen, was die Zahlen ebenfalls beeinflussen könne.
Zurückliegende sexuelle Gewalt
Außerdem müsse man auch differenzieren zwischen Menschen, die unmittelbar nach einem sexuellen Übergriff in ein Zentrum gingen und Fällen, in denen zurückliegende sexuelle Gewalt vermutet werde. Bei Kindern, die von ihren Eltern in die Zentren gebracht würden, handele es sich in der Mehrheit der Fälle nicht um akute sexuelle Gewalt, so Roelens, sondern um vermutete, beispielsweise im Zusammenhang mit Trennungen oder Scheidungen der Eltern.
Was aber natürlich nichts daran ändert, dass gerade junge Menschen für sexuelle Übergriffe besonders anfällig sind. Junge Menschen seien besonders gefährdet, weil sie oft noch in einer Phase des Ausprobierens seien, des Experimentierens, sie könnten zum Beispiel oft die Folgen von Alkohol oder Drogen noch nicht richtig abschätzen. Bestimmte Täter suchten sie sich auch bevorzugt als Opfer aus.
Klischee des "unbekannten Täters"
Die medizinische Koordinatorin warnt auch vor dem gefährlichen Klischee des "unbekannten Täters": Nur ein Drittel der Menschen, die in die Zentren kämen, seien von ihnen fremden Personen angegriffen worden. In sehr vielen Fällen seien die Täter im sozialen Umfeld der Opfer zu finden, seien Familienangehörige, Partner, Ex-Partner oder Bekannte, betont Roelens.
Staatssekretärin Leroy will den Kampf gegen sexuelle Gewalt weiter verstärken, denn man müsse nach wie vor von einer sehr hohen Dunkelziffer ausgehen. Beitragen dazu soll unter anderem eine Sensibilisierungskampagne, die sich an besonders gefährdete Bevölkerungsgruppen richten wird, beispielsweise auf Festivals und an Schulen. Aber auch bei den Betreuungszentren will Leroy aufrüsten und dafür in der Föderalregierung für die notwendigen Mittel werben. Sollte sie dabei Erfolg haben, dann könnte unter anderem möglicherweise auch in Eupen ein solches Zentrum entstehen.
Boris Schmidt