Colruyt war bislang eine Familiengeschichte. Jef Colruyt ist der Sohn von Jo Colruyt, und der wiederum war der Sohn des Unternehmensgründers Franz Colruyt. Dieser Franz Colruyt hatte 1928 in Lembeek, südwestlich von Brüssel, die väterliche Bäckerei aufgegeben und einen Großhandel eröffnet. Colruyt belieferte bald Geschäfte in der ganzen Provinz Brabant und in Brüssel mit Kolonialwaren. 1958 übernahm Sohn Jo Colruyt das Ruder, und unter seiner Führung begann das Unternehmen, erste Geschäfte zu betreiben. 1994 verstarb Jo Colruyt mit nur 66 Jahren an einem Herzinfarkt. Und da schlug die Stunde von Jef Colruyt: Er musste mit gerade einmal 36 Jahren die Leitung des Familienunternehmens übernehmen.
Nach nunmehr fast 30 Jahren ist seine Bilanz beachtlich, da sind sich Beobachter einig. Und er selbst blickt auch zufrieden zurück. "Wissen Sie", sagte Jef Colruyt in der VRT, "damals, als ich anfing, da machten wir einen Umsatz in Höhe von umgerechnet rund einer Milliarde Euro, heute sind es beinahe elf Milliarden. Damals hatten wir 5.000 Mitarbeiter, jetzt sind es 33.000. 1994 betrieben wir 127 Geschäfte, jetzt sind es 775 eigene Märkte und nochmal rund 2.000 kleine Selbständige, die wir beliefern. Also, ich denke, wir haben ganz gut gearbeitet".
Imperium aufgebaut
"Ganz gut gearbeitet" - das ist dann doch leicht untertrieben. Erstmal hat Jef Colruyt das Familienunternehmen in eine wirkliche Supermarktkette umgebaut und die dann auch noch zum Marktführer gemacht. Er hat die Gruppe dann aber auch noch wesentlich breiter aufgestellt: Auf der einen Seite rief er neue Supermarktketten wie Okay oder Bio-Planet ins Leben, die auf spezielle Kundensegmente zugeschnitten waren. Auch die belgischen Spar-Geschäfte gehören der Colruyt-Gruppe. Daneben wurde aber auch in Beteiligungen in anderen Bereichen investiert, wie die Spielwarenhäuser Dreamland und sogar Fitnesscenter. Colruyt ist inzwischen auch an der Börse notiert, wobei die Anteile immer noch mehrheitlich in Familienbesitz sind.
Jef Colruyt hat also ein regelrechtes Imperium aufgebaut. Für die breite Öffentlichkeit ist er aber eigentlich immer so ein bisschen der große Unbekannte geblieben. In den Medien trat Jef Colruyt so gut wie nie auf. Zu den seltenen Ausnahmen gehörten Anlässe, bei denen nachhaltige Projekte vorgestellt wurden. Wie 2012, als Colruyt eine neue Idee präsentierte: Strom aus firmeneigenen Windkraftwerken, der nicht verbraucht wurde, diente zur Herstellung von Wasserstoff, mit dem dann die Hubwagen betrieben wurden, erklärte ein sichtbar enthusiastischer Jef Colruyt in der VRT.
Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit
Das war vor über zehn Jahren. Gerade in Sachen Nachhaltigkeit gehörte Colruyt immer zu den Vorreitern, auch dank des Firmenchefs, der sich vergleichsweise früh insbesondere für Umwelt- und Klimaschutz einsetzte. Noch jetzt, bei der Ankündigung seines Abgangs, scheint ihn das Thema sehr zu beschäftigen: "Welche Rechnung wird uns die Natur für den Raubbau der letzten 100 Jahre noch präsentieren? Und wie werden wir als Menschen und als Menschheit damit umgehen?", fragte sich ein besorgter Jef Colruyt in der VRT.
Die Ära Jef Colruyt war jedenfalls eine Erfolgsgeschichte. Klar: Auch über der Colruyt-Gruppe ist der Himmel zuweilen bewölkt. Die ganze Branche steht vor großen Herausforderungen, angefangen mit der Digitalisierung. Vor allem die Inflation hatte der Colruyt-Gruppe zudem arg zugesetzt. Nicht zu vergessen: Die ausländische Konkurrenz, die auf den belgischen Markt drängt, allen voran die Discounter Aldi und Lidl, aber auch die niederländischen Ketten Albert Heijn und Jumbo. Sie alle setzen Colruyt mit seiner traditionellen "Tiefstpreisgarantie" gehörig unter Druck. Deswegen wurde auch immer wieder darüber spekuliert, dass Colruyt irgendwann Abstand nehmen würde von diesem fast schon historischen Versprechen. "Werden wir nicht!", machte aber Jef Colruyt klar. "Die Tiefstpreisgarantie ist unser Engagement unseren Kunden gegenüber. Und das bleibt auch so! Solange, wie es geht!"
So spricht eigentlich niemand, der gerade beschlossen hat, seinen Posten als Hauptgeschäftsführer abzugeben. Aber Jef Colruyt bleibt dem Unternehmen ja noch weiter erhalten, dann als Vorsitzender des Aufsichtsrates. Seine Nachfolge als Direktor übernimmt Stefan Goethaert, der auch schon seit Jahren im Management aktiv war. Man ahnt es schon: Goethaert wird der erste Firmenchef sein, der nicht den Namen Colruyt trägt und der auch ansonsten weder verwandt, noch verschwägert ist mit der Gründerfamilie. Auf Goethaert warten große Herausforderungen, denn angesichts der rasend schnellen Veränderungen im Einzelhandel werden wohl schon bald einige strategische Weichen gestellt werden müssen. Die Investoren scheinen an ihn zu glauben. Am Mittwoch schoss der Börsenkurs der Colruyt-Aktie gleich um zehn Prozent in die Höhe.
Roger Pint