Es ist ein unscheinbares Gebäude, das Haus mit der Nummer 10 in der Rue André Fauchille in der Brüsseler Teilgemeinde Woluwe-Saint-Pierre, nur eine Straßenecke entfernt von der deutschen katholischen Gemeinde in Brüssel, nahe des großen Kreisverkehrs Montgoméry.
Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Gebäude teilweise zerstört - und auch das hat dazu beigetragen, dass die Geschichte der verschleppten jüdischen Kinder aus diesem Haus lange in Vergessenheit geraten war.
Selbst die Nachkommen von damals Betroffenen wussten lange nichts von dem Schicksal der 14 jüdischen Kinder, einiger jüdischen Erwachsenen und der Leitung des Mädchenpensionats, in dem die Juden versteckt wurden. "Diese Geschichte wäre wohl in Vergessenheit geblieben, denn über 60 Jahre lang hat meine Tante mit keinem Wort über diese Ereignisse gesprochen", sagt Michel Caldana, Großneffe der damaligen Heimleiter. Nur ein Zufall habe dazu geführt, dass überhaupt jemand herausgefunden hatte, dass das Haus früher als Mädchenpensionat genutzt wurde und sich das Drama der Razzia dort abgespielt hatte.
Graffiti im Kamin entdeckt
Es war der französische Künstler Frédéric Dambreville, dem dieser Zufall 2009 in die Hände spielte. Regelmäßig besuchte er damals seine Lebensgefährtin in dem besagten Haus. Er entdeckte Graffiti im Kamin, ging den Spuren nach, konnte Stück für Stück die vergessene Geschichte der verschleppten jüdischen Kinder und ihrer Beschützer rekonstruieren. Vergangenes Jahr veröffentlichte er ein Buch darüber. Seit diesem Montag erinnert eine Gedenktafel an die Razzia von vor genau 80 Jahren.
Schon vor fünf Jahren hatte die Gemeinde Woluwe-Saint-Pierre 15 sogenannte Stolpersteine zum Gedenken an die damals verschleppten Juden vor dem Haus in den Bürgersteig pflastern lassen.
Elf der 14 damals verschleppten Kinder kamen im Konzentrationslager Auschwitz um. Drei Jungen gelang vorher die Flucht.
Am Montag stellten in weiß gekleidete Kinder weiße Rosen in eine Vase vor dem Hauseingang nieder. Bei der kleinen, feierlichen Zeremonie war auch der deutsche Botschafter in Belgien, Martin Kotthaus, anwesend.
Zum Lesen (in französischer Sprache): Frédéric Dambreville, Les disparus de Gatti de Gamond. CFC Editions 2020, 790 Seiten, 28 Euro.
Kay Wagner
Nicht immer ist es gut ausgegangen wie bei Marcel Bauers "Schattenkinder". Beide Bücher ergänzen sich somit.